Nach etlichen Jahren verhallter Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal im Gesundheits- und Pflegebereich stellte die Bundesregierung heuer im Frühjahr erste Ansätze einer „Pflegereform“ in Aussicht. Darunter ein Gehaltsbonus, der für Anfang Dezember angekündigt wurde, von dessen Umsetzung aber noch nichts bekannt ist. Ebenso wurden neue Wege in der Ausbildung vorgeschlagen. Insgesamt sollen für die Pflegereform zwei Milliarden Euro in die Hand genommen werden, 520 Millionen davon sollen laut Angaben für die „Gehaltserhöhungen“ (die als monatlicher Bonus ausbezahlt werden, also keine reale Gehaltserhöhung sind) reserviert werden. Diese „Erhöhungen“ sind allerdings auf zwei Jahre befristet.
Oberösterreichs Landesregierung hat nun ein 50-Punkte-Paket angekündigt, um mehr Personal für den Pflegeberuf zu finden und diesen insgesamt „attraktiver“ zu machen. Die Hauptpunkte dabei sollen Maßnahmen zur Entlastung der Beschäftigten sein: Anhebung des Mindestpersonalschlüssels und eine höhere Einstufung beim Pflegegeld für Demenzkranke, was ebenfalls den Personalstand erhöht, zudem ein Gehaltsbonus in den kommenden zwei Jahren. Handlungsbedarf besteht schon lange, wirft man einen Blick auf die Statistik wird der Personalmangel in den Pflegeberufen mehr als offensichtlich. Die demografische Entwicklung zeigt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2040 um 45 Prozent steigen wird, diesen enormen Bedarfsanstieg mit einer Erhöhung des Pflegeschlüssels um 3,5 Prozent zu begegnen ist kalkulierte Kaltschnäuzigkeit. Aktuell stehen 1.160 Pflegebetten leer, da sie aufgrund von fehlendem Personal nicht belegt werden können. Diejenigen die ihrem Beruf noch treu geblieben sind, sind mehr als am Limit. Der Pflegeschlüssel (Mindestpersonalschlüssel) stammt aus dem Jahr 1997, seither sind zusätzliche Tätigkeiten wie Dokumentationsanforderungen und Kontrollen durch unterschiedliche Behörden stark gestiegen. Bei der Evaluierung des Mindestpersonalschlüssels waren manche Kontrollinstrumente noch gar nicht vorhanden und wurden somit auch nicht berücksichtigt.
Wie die verpflichtende Pflegeprozessplanung, -dokumentation und -evaluierung laut Gesundheits- und Krankenpflegegesetz. Zudem sind bestimmte Tätigkeiten und Aufgabenbereiche nicht einberechnet, so zum Beispiel die Anleitung für Praktika (die verpflichtender Teil der Ausbildung sind), oder die Betreuung von Angehörigen, die sich in den letzten zwei Jahren aufgrund von Besuchsbeschränkungen massiv erhöht hat, die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder die verbindliche Vorgabe zur Errechnung von Fehlzeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgrund von Weiterbildung, Urlaub oder Krankheit. Diese Fehlzeiten machen laut Aussagen von Führungskräften und Betriebsrätinnen und Betriebsräten mindestens 28 Prozent der Nettoarbeitszeit aus. Diese unberücksichtigten Fehlzeiten bei der Berechnung des Personalstands führt zu zusätzlichen Belastungen der Kolleginnen und Kollegen, die immer wieder unerwartet einspringen müssen. Der Pflegeschlüssel richtet sich rein nach der Pflegestufe der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner:
In Österreich gibt es rund 460.00 Personen die Pflegebedürftig sind und ein Pflegegeld in den unterschiedlichen Stufen erhalten (siehe Tabelle). Etwa dreiviertel der Pflegebedürftigen werden zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt. Diese pflegenden Angehörigen, in den allermeisten Fällen sind es weibliche Angehörige, sollen ab nächstem Jahr einen Angehörigenbonus von Euro 1.500,- erhalten, allerdings nur, wenn sie selbst- oder weiterversichert sind. Ein Schritt in die falsche Richtung, denn es bedeutet noch mehr Abhängigkeit von „freiwilligen Zuschüssen“ – im Interesse der Pflegebedürftigen und Angehörigen wäre jedoch ein Anspruch auf Pflegeplätze für alle Pflegebedürftigen.
Mehr Personal durch erleichterten Erhalt der Arbeitserlaubnis (Rot-Weiß-Rot-Card) für Fachkräfte aus dem Ausland, in dem die Sprachprüfung wegfällt, ist von vorneherein absurd, wenn diese Regelung (vorerst) nur bis Ende 2023 gilt. Es gibt in Österreich viele Pflege-Fachkräfte aus dem Ausland, die sehr gerne in ihrem Beruf arbeiten würden, jedoch Aufgrund von langwieriger und schwieriger Anerkennung der Ausbildung aus dem Heimatland nicht in ihrem Fachbereich arbeiten dürfen.
Vorgesehen ist nun ein niederschwelliger Zugang als sogenanntes Stützpersonal, also zusätzliches Personal, welches dann zu Pflegekräften ausgebildet wird. Um die Ausbildung attraktiver zu machen ist ein Stipendium von monatlich Euro 600,- vorgesehen, um die hohe Abbruchsrate von ca. einem Viertel zu senken. Da hier vor allem „Wiedereinsteigerinnen“ oder „Quereinsteigerinnen“ angesprochen werden sollen, braucht es vor allem finanzielle Absicherung, die auch durch das erhöhte Stipendium von Euro 1.400,- bei der derzeitigen Teuerungswelle nicht gegeben ist und zusätzlich benötigt es zugesicherte Kinderbetreuung, die bei Dienstzeiten die auch Wochenend- und Nachtdienste erfordern, bei den derzeitigen mangelhaften Angeboten für Kinderbetreuung nicht zur Verfügung stehen.
Laut Arbeitsklimaindex der AK OÖ aus dem Jahr 2022 glauben sechs von zehn Beschäftigten nicht, dass sie ihren Beruf bis zur Pension ausüben können. Im Vergleich dazu sind es nur vier von zehn in anderen Branchen. Die massiv schlechten Arbeitsbedingungen wirken sich drastisch auf die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Über 57 Prozent des Pflegepersonals fühlt sich stark belastet oder eher belastet (26,2 Prozent in allen Branchen), zu wenige und zu kurze Pausen oder Erholungszeiten, überlange und unregelmäßige Arbeitszeiten führen zu Schlafstörungen, Erschöpfung, hohem Blutdruck, Resignation oder gar Burnout. Im Pflegebereich tragen über 60 Prozent der Beschäftigten eine hohe Verantwortung, annähernd so viele haben dauernd Kontakt mit kranken Personen, fast 50 Prozent sind schwerer körperlicher Anstrengung ausgesetzt. Über diese Belastungen klagt das Pflegepersonal seit Jahren. Als sogenannte „systemrelevante Beschäftigte“ wurden sie gelobt und beklatscht, verbessert hat sich aber bis dato nichts Wesentliches. Um ihre gerechten Forderungen nach höherem Gehalt und besseren Arbeitsbedingungen durchzusetzen, müssen geeigneten Kampfmaßnahmen wie Arbeitsniederlegung und Streik umgesetzt werden, durch einen Zusammenschluss der Arbeiter und Angestellten.
Quelle: Wiener Zeitung, ORF, AK
Bildquelle:
Hände, PublicDomainPictures, Pixabay
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