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Editorial: Das Ende vom Ende der Geschichte.

Aktualisiert: 6. Juni 2023



Vor knapp 35 Jahren, im Jahr 1992, schrieb der US-Amerikaner und neoliberale Denker Francis Fukuyama sein bekanntes Werk „Das Ende der Geschichte“. Abgesehen davon, dass die Geschichte kein „Ende“ kennt, sondern nur unaufhörliche Entwicklung, deklariert Fukuyama nach dem Zusammenbruch des „Ostblocks“ den endgültigen Sieg des liberalen Kapitalismus, der US-amerikanischen Weltordnung und Hegemonie. Wäre er heute konsequent, müsste er ein weiteres Werk verfassen: „Das Ende vom Ende der Geschichte.“


Dass wir am „Ende der Geschichte“ angelangt sind und sich der Kapitalismus für immer „durchgesetzt“ hat, glaubt heute (fast) niemand mehr. Ebenso kann gesagt werden, dass wir am Ende der „ewigen Wahrheiten“ angelangt sind. Das ist so aus zweierlei Gründen: Erstens ist diese „Theorie“ nahezu vollständig an der Realität zerbrochen und zweitens sind die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte von einer Natur, dass sie sich im (vielleicht auch unbewussten) Denken und Handeln der Massen widerspiegeln. Die bürgerlichen und Systemmedien sprechen von einer „Zeitenwende“ und dass Fukuyama diese These ja ohnehin nie wirklich ernst gemeint hätte. Die Medien aus dem Volk, die demokratischen und revolutionären Kräfte, sprechen von einem Umbruch, einer Situation des Wandels, und dass angebliche „ewige Wahrheiten“ immer nur für eine gewisse Periode aufrechterhalten werden können.


Ähnlich wie bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, wo alle Kritiker pauschal als „Leugner“ bezeichnet wurden, werden nun die Kritiker an Kriegshetze, Militarisierung und Waffenlieferungen als „Putin-Vesteher“ hingestellt. Dabei wird jedoch das Wesentliche ausgeblendet. Ein großer Teil der Bevölkerungen glaubt schlichtweg nicht mehr, und das ist Teil dieser Erfahrungen, dass die USA oder die EU einem unterdrückten Volk zur „Hilfe eilen“, dass es um „Solidarität“ ginge. Die USA können ihre Hegemonie, vor allem was die Köpfe der Menschen betrifft, also nicht mehr überall durchsetzen. Ähnlich ist es mit der „immerwährenden Neutralität“ Österreichs. Ewig gepredigt und gleichzeitig jahrzehntelang ausgehöhlt und verletzt stehen wir nun an einem Punkt, wo die Bevölkerung tatsächlich diese Neutralität massenhaft einfordert und das Märchen einer „immerwährenden Neutralität“, die ohne Kampf eingehalten würde, nicht mehr glaubt. Als Außenminister Schallenberg nun beim US-Außenminister Blinken war meinte dieser: „Ihr seid neutral, ohne neutral zu sein“. Recht hat er! Der damalige deutsche Botschafter brachte es 2004 schon auf den Punkt, als sich Österreich zur Teilnahme an den EU-Battlegroups verpflichtete: „So lange ihr mit uns in Kriege zieht, ist uns euer Status egal“ (1). Auch damals war die „immerwährende Neutralität“ schon ein Schmäh und existierte hauptsächlich am Papier, also keine „ewige Wahrheit“. Heute aber wird sie eingefordert und die Bevölkerung gibt sich nicht mit „ewigen Wahrheiten“ zufrieden. Das ist der Unterschied!


Eine andere „ewige Wahrheit“ vom „Ende der Geschichte“ ist die Wohlstandsnation. Wir hätten uns den Wohlstand hart erarbeitet und davon würden alle profitieren und für die Ärmsten gibt es Beihilfen, Ämter und Almosen. Im Zuge der massenhaften Teuerungen und nicht sinkenden Inflation traut sich von „Wohlstand“ ohnehin fast keiner mehr zu sprechen. Daher rührt es auch, wenn von den Spitzen der Sozialdemokratie nun Mindestlohn und Arbeitszeitreduzierung anstatt nur Einmalzahlungen gefordert werden. Das ist nicht prinzipiell falsch (wenn es tatsächlich durchgesetzt wird), aber wir dürfen nicht das „Ende vom Ende der Geschichte“ vergessen. Das System der letzten Jahrzehnte, des „Wachstums“ und „Wohlstandes“ geht von einer scheinbaren immer gleich bleibenden Symbiose der Klassengesellschaft im Kapitalismus aus. Das heißt die Arbeiterklasse und die Kapitalisten sind sozusagen ein „einheitliches Ganzes“, und würde der eine einmal zu viel erheischen, dann muss „umverteilt“ werden, damit alles wieder passt. Auch hier muss der Bruch gesehen werden. Diese „letzte Wahrheit“ der Umverteilung ist heute auch morsch und staubig, denn offenbar funktioniert sie nicht – das zeigten die letzten Jahrzehnte.


Und noch etwas hat sich erledigt mit dem „Ende vom Ende der Geschichte“: Volksbewegungen, Kampf und Revolution seien „unnötig“, „verrucht“ oder gar ein terroristischer Akt. Wie viele liebäugeln heute in Österreich mit der Massenbewegung in Frankreich und wünschen ihr den Sieg? Wie viele möchten genau das auch in Österreich? Der Umbruch markiert sich hier darin, dass sich die Arbeiter und das Volk Anderem zuwenden, für Anderes streiten und sich die fortschrittlichen Entwicklungen und Bewegungen auf der Welt zum Vorbild nehmen. Bewegung, Kampf und Revolution sind keine „Geister“ oder „Schreckgespenster“, sondern eben jene Instrumente des Volkes um eine positive Veränderung durchzusetzen. Wer so tut, als würde man durch solche Zeiten durchtauchen und sich „raushalten“ können, um am Ende dann zu entscheiden ob es einem gefällt oder nicht, versteht den Umbruch nicht und ist noch in der Fessel der gestrigen Unwahrheiten gefangen.



(1) Die Presse, 18.11.2004




Bildquelle: Francis Fukuyama at teh opening of Les Rencontres economiques d'Aix-en-Provence 2013, by Labraxa, CC BY 3.0

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