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Wie soll man bei diesen Preisen leben können?

Aktualisiert: 13. Jan. 2022


(Korrespondenz einer Mutter)


Der Sozialabbau wurde bereits 1993 in Deutschland von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gekürt. Zuvor kannte man aus den Siebzigern den Ausdruck „soziale Demontage“ und etliche andere Ausdrücke folgten dem. Man betrachtet den Sozialabbau als negativ behaftetes politische Schlagwort, welches einem System die Reduzierung von vorher vorhandenen Sozialleistungen für deren Mitglieder unterstellt. Die möglichst objektivierbaren Indikatoren sind die Entwicklung der Sozialausgaben, der Sozialquote oder Gesamtrechnung der sozialen Sicherheit.


Österreich ist ein Land, welches im Vergleich zu vielen Nachbarstaaten gute soziale Leistungen hat. Dennoch darf man das eine nicht mit dem anderen verwechseln. Anspruch und Geltendmachung auf diese Ansprüche sind die eine Seite, ob man in Anbetracht der Inflation, konstanter Preiserhöhungen der Energieversorgung und der explodierenden Immobilienpreise und so weiter, davon leben kann ist mehr als nur fraglich. Am Beispiel einer alleinerziehenden Mutter, die zwar auf etwas über €2000,- Gesamteinkommen kommt (zusammengesetzt aus dem Leistungsbezug vom AMS, Unterhaltszahlung für die Kinder und die Familienbeihilfe), ihre Fixkosten sich aber auf knapp €1500,- zusammensetzen (Mietkosten, Energieversorgung, Internet, GIS, Nachmittagsbetreuung etc.) bleiben ihr knapp €500,- für den Lebensunterhalt. Zu dem kommen immer zusätzliche Kosten für außerschulische Aktivitäten der Kindernachmittagsbetreuung dazu. Jeder der Kinder hat muss sich darauf einstellen alle paar Monate für die Kinder Gewand oder Schuhe zu kaufen, weil Kinder nun mal wachsen. Kinder haben nicht nur eigene Geburtstage, sondern werden auch auf Geburtstage ihrer Freunde eingeladen. Dann kommen Feiertage wie Ostern und Weihnachten, die ebenfalls in das schmächtige Familienbudget reinkommen müssen. Rechnet man nun €500,- was einer Mutter übrig bleibt durch 30 Tage, sind das täglich ca. €16,66,-, was für eine Erwachsene und zwei Schulkinder übrig bleibt zum Leben.


Die Kosten zu reduzieren ist oft unmöglich, weil wenn man sich zB. die Mietkosten anschaut, könnte man sagen, dann soll man sich was Günstigeres suchen. Auf dem privaten Immobilienmarkt zahlt man in Wien durchschnittlich zwischen €19,10,- (Innere Stadt) und €12,73(Hernals)* für 50-80m². Es ist nicht schwer zu errechnen, dass man sich für eine Kaution, die man im Voraus zahlen muss bei dem Einkommen nichts zur Seite legen kann. Auf eine Gemeindewohnung muss man lange warten und es besteht kein automatischer Anspruch, da nach Höchsteinkommen und „Schlüsseln“ berechnet wird ob man überhaupt eine Wohnung bekommen kann. Das Geld reicht buchstäblich nicht aus, um zu leben und ist dennoch zu viel zum Sterben. Das solche Kinder nicht dieselben Möglichkeiten haben sich zu entfalten ist ersichtlich. Da fallen viele Dinge weg. Man kann es sich nicht leisten, um in den Zoo oder das Kino zu gehen, auch ohne aktuelle Corona-Maßnahmen. Von externem Sport- oder Freizeitangeboten sind solche Kinder komplett ausgeschlossen, trotz der „sozialen“ Tarife, die es durchaus bei vielen Vereinen gibt. Man hat kein Urlaubsgeld und als AMS-Bezieher auch nicht wirklich Anspruch auf Urlaub. Wenn man einen Inland-Urlaub macht, muss man dem AMS dennoch jeder Zeit zur Verfügung stehen. Hat man eine andere Herkunft und möchte seine Familie im Ausland besuchen (insofern man es sich überhaupt leisten kann) wird einem das Geld so lange gestrichen, wie der Auslandsaufenthalt dauert.


Ich habe auch mit alleinerziehenden Müttern gesprochen, die im Lockdown in Kurzarbeit waren und um den Job nicht zu verlieren gezwungen waren, ihre Kinder im Volksschulalter allein zu Hause zu lassen und damit ihre Aufsichtspflicht zu verletzen. Der Druck ist enorm geworden auf die sozial Schwachen und es wird politisch immer mehr mit Kürzungen und Streichungen gedroht. Was das psychologisch mit Individuen macht ist für die Regierung nicht einmal zweitrangig. Es ist ihnen offensichtlich egal. Da in der österreichischen Bundesverfassung keine explizite Erwähnung der Menschenwürde zu finden ist, sollte es uns nicht weiter verwundern, dass das System demensprechend handelt. Da Österreich sich zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet hat, sollte sie danach handeln. Aktuell drohen existenzielle Rechte für eine breite Masse der Bevölkerung abgeschafft zu werden. Nur eine davon ist das Recht auf Wohnen.

Laut der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948wird im Artikel 25, Abs.1 festgehalten:

„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnen, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“

Nur, dass es in das Bild des Neoliberalismus gut reinpasst, all dies damit zu umgehen, indem man alles so weit konditioniert, dass nahezu jeder dieser aufgelisteten Fälle nun nicht als „unverschuldet“ definiert werden kann und man diese Grundrechte auf die Art aushebeln kann.

Das dürfen wir nicht zulassen. Wir, die Bevölkerung, sind solidarisch und das haben wir schon oft genug bewiesen. Lassen wir nicht zu, dass eine Regierung uns derart spaltet, dass wir nur mehr in „die“ und „wir“ denken. Wir dürfen nicht zulassen, dass Arbeitslose als faule und arbeitsunwillige abgestempelt werden, dass Menschen trotz zwei Jobs sich kaum elementare Dinge, sowie Urlaub nicht leisten können, dass unsere PenisionistInnen jeden Cent umdrehen müssen und trotz der hart verdienten Pension auch noch auf zusätzliche Leistungen angewiesen sind, Bildung nicht für alle gleich ist und die angekündigten Kürzungen damit gerechtfertigt werden, das Budget zu entlasten.


Ist das der Weg, den wir gehen wollen? Lassen wir zu, dass von den Ärmsten genommen wird, damit man noch mehr Geld in Konzerne pumpen kann, welche Steuerlich noch mehr entlastet sind als je zuvor und trotz der Corona-Krise nur Gewinne gemacht haben? Ist Armut selbst verschuldet aber Reichtum selbst erarbeitet? Armut ist nichts was eine gewisse Bevölkerung am Rande betrifft. Sieht man den aktuellen politischen Entwicklungen in unserem Land ins Auge, steht sie sehr vielen von uns in Aussicht.


Armut liegt nicht „im Auge des Betrachters“, wie es der Ökonom Milton Friedman sagte. Armut ist keine Schönheit, egal wie man sie betrachtet. Sie ist erbarmungslos real und unmissverständlich. Die Armut darf nicht zur Konstante unserer Gesellschaft werden, denn sie betrifft uns alle.



 

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