Leserbrief: Die Auswirkungen des kaputtgesparten Gesundheitssystems
- Cedra
- vor 2 Stunden
- 4 Min. Lesezeit

Heute werden Engpässe und Notstände in unserer Gesundheitsversorgung immer deutlicher sichtbar, wie es auch in einem an uns gesendeten Leserbrief geschildert wird: „Trotz privater Versicherung musste sie monate- und wochenlang auf Termine für Untersuchungen und die OP warten.“ Stichwort: Fachärztemangel? Österreich hat laut internationalen Studien eine der höchsten Ärztedichten. Der Schein trügt jedoch, denn in Österreich werden im Gegensatz zu anderen Ländern einerseits auch Ärzte in Ausbildung die bereits praktizieren mitgezählt, zum anderen wird das Verhältnis von Privat- und Kassenärzten nicht aufgeschlüsselt.
Unterbesetzung in den Krankenhäusern, massiver Hausärztemangel und die Kürzung von Kassenleistungen sind Ergebnisse diverser Spitalsreformen und auch der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen. Unter dem Deckmantel der Zentralisierung und Optimierung, kam es zu einem großangelegten Abbau der Infrastruktur in ländlichen Gebieten, aber auch bei der lokalen Versorgung in der Stadt. Für die Bevölkerung kommt es zu Versorgungsengpässen bis hin zu massiven Kürzungen von Leistungen: „Die zuständige Gesundheitskasse übernahm die Kosten für den Eingriff nicht. Es hieß, das sei kein „dringender Fall.“
Tatsache ist: eine flächendeckende Gesundheitsversorgung ist nicht gewährleistet und wird zunehmend ein individueller Kostenfaktor. „Diese Geschichte steht nicht nur für das persönliche Leid meiner Mutter – sie ist ein Beispiel dafür, wie das System mit Arbeiter*innen umgeht: ausnutzen, kleinhalten, ignorieren“ Der Leserbrief zeigt: für die Abwehr von weiteren Verschlechterungen und Kürzungen im Gesundheitssystem muss sich die Bevölkerung, ob Arbeiter, kleine Selbständige, Angestellte, Arbeitslose, Schüler und Studenten zusammenschließen und selbst für ein Gesundheitssystem im Dienste des Volkes kämpfen. Hier möchten wir nun den gesamten uns zugesendeten Leserbrief veröffentlichen:
Ein persönlicher Bericht: Die Geschichte meiner Mutter – Staatsbürgerin, Mutter, Arbeiterin
(Leserbrief)
Ich bin Teil der Palästina-Solidarität Linz und komme aus einer libanesischen Familie. Ich wurde in Österreich geboren, genauso wie meine Geschwister, und wir alle – inklusive meiner Mutter – sind österreichische Staatsbürger*innen. Dennoch erleben wir immer wieder, wie Menschen mit migrantischem Hintergrund im Alltag benachteiligt und im Stich gelassen werden.
Meine Mutter hat vier Kinder zur Welt gebracht und jahrzehntelang in Österreich gearbeitet – unter anderem als Lehrerin. Die körperliche und emotionale Belastung war enorm, und mit der Zeit entwickelte sie einen Bandscheibenvorfall. Trotzdem wurde ihr lange keine Operation genehmigt – die Ärzt*innen meinten, es sei „noch nicht notwendig“.
Doch der Zustand wurde schlimmer. Durch ihren Beruf war ihr Rücken ständig belastet. Die Schmerzen wurden unerträglich. Sie konnte sich schließlich kaum noch bewegen – obwohl sie bereits regelmäßig starke Schmerzmittel wie Novalgin einnahm. Erst als sie buchstäblich nicht mehr aufstehen konnte, willigte das Krankenhaus endlich ein, die Operation durchzuführen. Trotz privater Versicherung musste sie monate- und wochenlang auf Termine für Untersuchungen und die OP warten. Das Gesundheitssystem, das vorgibt, für alle da zu sein, hat sie im entscheidenden Moment im Stich gelassen. Nach der Operation kam es zu einer Komplikation: Ihr linker Fuß war gelähmt. Was eigentlich eine Besserung bringen sollte, wurde zu einer weiteren Einschränkung. Bis heute leidet sie unter den Folgen dieser Vernachlässigung und der jahrelangen Überlastung.
Diese Geschichte steht nicht nur für das persönliche Leid meiner Mutter – sie ist ein Beispiel dafür, wie das System mit Arbeiter*innen, insbesondere mit Frauen mit Migrationsgeschichte, umgeht: ausnutzen, kleinhalten, ignorieren.
Neben ihrem Bandscheibenvorfall leidet meine Mutter – mit gerade einmal 45 Jahren – auch an den körperlichen Folgen ihrer vier Geburten. Ihre Harnblase und ihre Gebärmutter sind stark geschwächt, beides hat sich abgesenkt, in einem Ausmaß, das sie im Alltag massiv beeinträchtigt. Zusätzlich wurde bei ihr eine Harnröhrenverengung festgestellt. Das bedeutete: Sie konnte ihren Harn kaum noch halten. Eine Hochhebung der Harnblase und eine Stabilisierung der Gebärmutter wären medizinisch notwendig gewesen. Doch als sie sich bei einer Ärztin in Österreich vorstellen wollte, um die Operation zu besprechen, wurde sie abgewiesen. Die Ärztin sagte: Nur wenn die Gebärmutter „komplett rauskommt“ – wortwörtlich – und das Problem mit der Blase "nicht mehr auszuhalten" sei, würde man operieren. Die zuständige Gesundheitskasse übernahm die Kosten für den Eingriff nicht. Es hieß, das sei kein „dringender Fall“. Wie viel Schmerz muss ein Mensch ertragen, bis ihm geholfen wird?
Meine Mutter hatte keine andere Wahl: Sie reiste in den Libanon, um sich dort operieren zu lassen. Die Kosten waren dort tragbar – und der medizinische Service deutlich besser. Es war ein Schritt, den sie aus purer Not gehen musste. Improvisation statt Unterstützung. Eigeninitiative statt Fürsorge.
Diese Erfahrung stellt eine grundlegende Frage: Müssen Menschen in Österreich wirklich erst kurz vorm Zusammenbruch stehen, bevor sie im öffentlichen Gesundheitssystem ernst genommen werden? Muss der Körper einer Frau vollkommen zusammenbrechen, bevor sie medizinisch unterstützt wird? Meine Mutter ist keine Ausnahme. Sie ist ein Beispiel für viele Frauen, die in einem System leben, das ihre Arbeitskraft selbstverständlich ausnutzt, ihnen aber keine Würde zurückgibt. Ein System, das sie erst sieht, wenn es fast zu spät ist.
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