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Nein zur Repression: Interview mit dem Verein Dar al Janub




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Die Rote Fahne: Wir möchten uns bedanken für die Möglichkeit ein Interview mit euch führen zu können über die schwere Repressions- und Diffamierungskampagne gegen das Dar al Janub. Wir sehen dieses Interview als sehr wichtig im Rahmen der Solidarität, im Kampf gegen die Berichterstattung der bürgerlichen Medien, die sich an der Diffamierung beteiligen und das tatsächliche Ausmaß der Repression verschweigen.


Dar al Janub: Danke an die Rote Fahne für die Gelegenheit über unsere Situation und Geschichte reden zu können. Wir haben den Entschluss gefasst an die Öffentlichkeit zu gehen und so ist es sehr gut in verschiedenen Richtungen zu berichten, was vorgefallen ist.


Die Rote Fahne: Aus staatlichen Beobachtungsstellen und Medien wurde eine wahre Hetzkampagne gegen das Dar al Janub eröffnet. Dem entgegen möchten wir dich zuerst bitten die tatsächliche Arbeit und Grundsätze des Vereins Dar al Janub darzulegen. Zu welchem Zweck habt ihr euch gegründet?


Dar al Janub: Wir haben uns 2003 gegründet, das waren Leute aus dem studentischen Umfeld. Diese Zeit war wichtig, denn es war das erste Mal wo man in der Öffentlichkeit eine breitere anti-muslimische Stimmung wahrnehmen konnte, vor allem auch aus einer linken Strömung heraus. Es war die Zeit in der die zweite Intifada zu Ende gegangen ist, die Zeit nach „9/11“, die Zeit des expansiven Kriegs gegen den Terror. Die Leute die an der Gründung unseres Vereins beteiligt waren, wurden davon geprägt. Deshalb haben sie entschieden, dass es einen Raum braucht um sich kennen zu lernen und darüber zu reden. Das waren österreichische Leute, aber auch solche mit Wurzeln aus der Türkei und arabischen Ländern.


Die Rote Fahne: In der öffentlichen Stellungnahme des Dar al Janubs berichtet ihr von massiver Überwachung und Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern und im Vereinslokal. Könntest du uns einen kurzen Überblick über die Repression geben, die gegen euch stattgefunden hat? Was ist der aktuelle Stand?


Dar al Janub: Zwischen Februar und September diesen Jahres gab es fünf Hausdurchsuchungen: Gegen das Vereinslokal, gegen ein ehemaliges Mitglied des Vereins, gegen den ehemaligen Vereinsvorstand und den jetzigen Vorstand. Alle Hausdurchsuchungen wurden in einer militärischen Vorgangsweise durch die WEGA durchgeführt, die in voller Kampfaufrüstung die Wohnungen gestürmt hat. Sie haben dann aber schnell das Feld geräumt und der Verfassungsschutz hat die Hausdurchsuchungen übernommen. In zwei Wohnungen waren Kindern anwesend. Das erweckt den Eindruck, dass man mit dieser Vorgangsweise einschüchtern will.


Auch die Paragraphen, die ins Feld geführt werden, sind sehr ernst zu nehmen: §278a und b, „Mitgliedschaft“ und „Gründung einer terroristischen/kriminellen Vereinigung“ sowie §282 „Gutheißung von Straftaten“. Dem vorangegangen ist eine Anzeige der ÖVP im Dezember 2023 gegen Personen im Dar al Janub. Unmittelbar danach hat die Staatsanwaltschaft begonnen zu ermitteln. Die ÖVP stützt sich auf ein 17-seitiges Papier der sogenannten „Dokumentationsstelle für den politischen Islam“. Die Staatsanwaltschaft hat die ÖVP-Argumentation und den Bericht der „Dokustelle“ übernommen.


Besonders beziehen sie sich auf öffentliche Treffen die wir hatten mit Mitgliedern der Hamas, im Rahmen einer Reise in Flüchtlingslager im Libanon und einer Fact-Finding-Mission in Gaza. Aber auch ein Treffen mit Leila Khaled, die legal in Österreich eingereist ist für eine öffentliche Veranstaltung und sich danach mit Aktivisten getroffen hat. Unser Verein hat im Rahmen solcher öffentlicher Arbeit auch eine Urkunde von der PFLP bekommen, die jetzt ebenfalls als „Beweismittel“ dient. Wir haben immer transparent gemacht, wen wir treffen und das nie geheim gehalten. Wir haben aber nicht nur verbotene Organisationen getroffen, sondern genauso „grassroots“-Organisationen aus Palästina und Mitglieder der PLO, der anerkannten Repräsentation der Palästinenser. Denn wir sehen unsere Aufgabe in der Palästina-Arbeit eher in der Beschreibung von Zuständen und Situationen, weniger in dem Versuch hier in Österreich ein bestimmtes Bild zu Palästina und bestimmte Lösungen zu präsentieren. Unser Ansatz war immer, seit 2003, Stimmen die marginalisiert sind im globalen Kontext ein Podium zu geben, weil die Stimmen die ohnehin gehört werden kein Podium brauchen. Das sehen wir als unsere Hauptaufgabe als Dar al Janub, am besten dadurch, dass die Leute selbst zu Wort kommen, im Versuch dadurch politische Forderungen zu formulieren. Als eingetragener Verein haben wir uns an das österreichische Recht gehalten. Unsere Argumentation war immer das internationale Völkerrecht, das beinhaltet das Recht auf bewaffneten Widerstand.


Die Rote Fahne: Wir begrüßen die Solidaritätsarbeit mit dem nationalen Befreiungskampf in Palästina und stellen uns gegen deren Kriminalisierung. Könntest du etwas vertiefen, wie ihr eure Solidaritätsarbeit mit Palästina versteht?


Dar al Janub: Wir möchten uns selbst bilden über dieses komplexe Thema Nahost, über das immer gesprochen wird als „die da unten“ die keinen Frieden stiften könnten. Wir haben uns bemüht so viel wie möglich über die palästinensische Gesellschaft wie auch die Siedlergesellschaft Israels zu lernen, das komplexe System von Besatzung und Apartheid etwas besser zu verstehen und Konzepte der Befreiung zu verstehen. Nach der zweiten Intifada waren islamische Bewegungen maßgeblich beteiligt an einer Kritik des Oslo-Vertrags. Es ist nur logisch gewesen, dass wir in unserer Arbeit dann auf diese Bewegungen eingehen. Wir verstehen uns nicht als Journalisten. Natürlich verteidigen wir die Meinungsfreiheit, haben aber nicht den Anspruch der Neutralität, wir haben den Anspruch hier mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Vielleicht kann man in gewisser Weise sagen, dass wir einen Kreisky-Anspruch haben, in dem Sinn dass Kreisky mit seinem Treffen mit Arafat nach der heutigen Definition auch unter das Gesetz der „Mitgliedschaft“ und „Unterstützung“ von „Terror“ gefallen wäre. Denn die Fatah war damals als Terrororganisation eingestuft (sie wird übrigens heute unter anderem in den USA wieder kriminalisiert). Eigentlich geht es um eine unterstellte Gesinnung, wenn man Vertreter gewisser Organisationen trifft. Person A trifft Person B, das unterstellt eine Gesinnung. Das stimmt im Fall des Dar al Janubs nicht, weil wir ein sehr diverser Verein sind wo verschiedene Meinungen und Positionen zusammengekommen sind. Man kann das nicht „einkasterln“ uns sagen, „die unterstützen das und das“.


Die Rote Fahne: Was ist die Rolle der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ (DPI) in der Kampagne? Wird tatsächlich eine so rassistische und nachgewiesenermaßen unwissenschaftliche Stelle als Ausgangspunkt für staatliche Repression genommen?


Dar al Janub: In der zwanzigjährigen Kontinuität des Dar al Janubs hat die Repression nicht begonnen mit der DPI sondern mit der SPÖ-nahen Organisation DÖW. Die haben begonnen eine Phantasie des „Islamfaschismus“ zu entwickeln. Das hat sich auf den Universitäten verbreitet und auch zum Beispiel in Fernsehdokus von Arte. Damit wollten sie die bürgerliche Mittelklasse mobilisieren, gegen die „Bedrohung des Islams“. Das kam aus dem aggressiv neoliberalen Raum der SPÖ. In der Mobilisierung der SPÖ war es vielleicht notwendig, dass die ÖVP ihr eigenes Institut gründet. Die fahren eine andere Schiene in der Konstruktion von Phantasien. Sie haben begonnen Islam und Links zu kombinieren „Islam-Left“, „islamo-gauchism“, dass Linksradikale und Islam gemeinsame Sache machen würden. Es ist eine Tendenz der Weltverschwörung, wie wir sie aus dem Stürmer kennen. Die Vorgängerorganisationen der ÖVP sind diejenigen, die den modernen Antisemitismus zu einem mörderischen Kult entwickelt haben (Lueger etc). Die können sich in ihrer Geschichte nicht auf den Antifaschismus beziehen, können aber das Antikommunistische, Anti-Links-Stereotyp, die Angst vor der „roten Gefahr“ nutzen um zu mobilisieren. Da passen wir in deren Bild hinein. Ohne dass sie selbst Analysieren würden, was dieses Phänomen der islamisch-linken Organisationen ist. Und warum linke Ideologien öffentlich diskutiert werden. Die ökonomische Krise, der Krieg im globalen Süden sind ja die Gründe warum sich Leute einer linken Ideologie zuwenden. Das DPI arbeitet mit der „Islam-Left“-Ideologie. Sie kreieren Bedrohungen, aber das schaffen sie beim Dar al Janub schlecht, da sie nur Analyse verwenden von Leuten, die selbst für sie schreiben und in den Institutionen Islamhass verbreiten. Z.B. haben wir ein Interview gemacht mit Daoud Abdallah …  Das Interview dauert 90 Minuten, die Staatsanwaltschaft interessiert sich aber überhaupt nicht für den Inhalt des Interviews, aber sie interessieren sich für das Buch-Cover wo zwei Personen der Hamas zu sehen sind. Das gleiche Buch wird auf Amazon angeboten, aber sie unterstellen aufgrund von Bildern und Social Media Posts eine gewisse Gesinnung.


Die Rote Fahne: Der Bericht der DPI arbeitet stark mit der angeblichen Nachweisung von organisatorischer Mitgliedschaft/Unterstützung. Angeführt werden hier Gelder der OPEC, die vom Dar al Janub an die „Palästinensische Humanitäre Vereinigung (PHV)“ gespendet wurden, die laut israelischem Geheimdienst Teil des „Finanznetzwerks der Hamas“ ist. Doch selbst die UNRWA wurde im letzten Jahr so gebrandmarkt, wie auch 2015 und 2021 so gut wie alle anderen Hilfsorganisationen in Palästina. Gibt es noch palästinensische Hilfsorganisationen, an die man spenden kann, die nicht als „terroristisch“ gebrandmarkt sind?


Dar al Janub: Soweit wir das nachvollziehen können sind das zwei getrennte Sachen. Die PHV ist schon vor zehn Jahren aufgelöst worden. Wir haben keinen größeren Kontakt dahin. Sie ist Geschichte. Es gibt irgendwo eine beschlagnahmte Urkunde wo wir eine Dankschrift von ihnen bekommen haben. Das andere ist die OPEC-Ausschreibung. Das war gemeinsam mit dem Projekt „wir sind Nablus“. Frauen und Kinder in Nablus in der Westbank konnten über dieses Projekt Computerkurse machen und bekamen Hardware, Software und Kurse zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig haben sie Kunstwerke gemacht, die sie dann verkauft haben, als sozial-kulturelles Projekt mit der Partnerorganisation SCCS.


Alle anderen Unterstellungen von Kontakt mit verbotenen Organisationen sind absurd. Die einzige Organisation die wir unterstützen und wo wir Mitglied sind ist das Dar al Janub. Alles andere sind Unterstellungen. Wir können uns auch nicht vorstellen wie das funktionieren sollte, da diese Organisationen in Europa auch nicht tätig sind, wie sie es in den 70ern waren. Es ist auch absurd, weil andere Organisationen die in Österreich angeklagt wurden, zum Beispiel im Rahmen der „Operation Luxor“ nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie Teil der Hamas wären. Weil diese Organisationen zwar bestrebt sind, die Palästinenser dabei zu unterstützen ihre Souveränität zu erlangen, aber keine Mitglieder von diesen Organisationen sind.


Wir haben Förderungen bekommen von Stadt Wien und der Austrian Development Agency (ADA), die Teil des Außenministeriums ist. Wir sind aber weder Mitglieder der Stadt Wien noch vom Außenministerium. Es stimmt, dass UNRWA kriminalisiert wird. Das tödliche ist, dass dieses Verbot Vernichtung in der Westbank und Gaza bedeutet. Und trotzdem wurden Zahlungen von europäischen Ländern an das UNRWA eingestellt. Um trotzdem noch Hilfe zu leisten hat die UN das jetzt teilweise auszugleichen. Es ist völlig unbewiesen dass UNRWA teil der Hamas ist. Die Vorgangsweise ist, enormen Druck aufzubauen und jedem Unterstützung von Terror oder Antisemitismus zu unterstellen. Auch Amnesty International wird in Israel als antisemitisch definiert, was ja der erste Schritt zur Kriminalisierung ist.


Die Rote Fahne: Derzeit gibt es viele schwere Angriffe auf die Palästina-Solidaritätsbewegung, womit die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit den imperialistischen Interessen der Herrschenden folgend angegriffen wird. Die Rote Fahne hat unter anderem über die illegale Inhaftierung des Aktivisten Ahmad Hilal berichtet. Offensichtlich gibt es in beiden Fällen keine anderen „Beweise“ als eine antiimperialistische und pro-palästinensische Gesinnung. Welche Ziele seht ihr hinter diesen Maßnahmen?


Dar al Janub: Was europaweit passiert, in England, Frankreich, Deutschland und auch Österreich, ist die Kriminalisierung von Meinungen. Die Palästinasolidarität ist grundsätzlich sehr defensiv und sehr demokratisch orientiert. Sie nimmt sich das Recht auf Demonstration heraus, und in dieser Situation formuliert sie politische Parolen. Durch die Zuspitzung mit dem Völkermord will man jetzt diese grundlegenden Rechte kriminalisieren, um Palästina, das Thema des Genozids, soweit wie möglich unter Kontrolle zu halten. Leute werden mit massiven Strafen über juristisch nicht strafbaren Sachen beschäftigt. Ein Spruch wie „From the river to the sea, Palestine will be free!“ wird de facto kriminalisiert, durch eine Weisung des Innenministeriums, die besagt dass die Polizei dem nachgehen müsse wie er gemeint ist. Mit dem Ziel Angst zu verbreiten, die Bewegung in die Defensive zu treiben, die Kontrolle verstärken über das Narrativ, dass das Siedlerprojekt im Nahen Osten Demokratie, Zivilisation und „Wohlstand für alle“ in der Region bringt. Die wenigsten Dinge, die heute vor Gericht verhandelt wurden, sind echte Straftaten.


Die Rote Fahne: Könnt ihr zu den Entwicklungen und Hintergründen dieser Repression eure Erfahrungen berichten, auch vor den letzten 2 Jahren?


Dar al Janub: Wichtig ist immer zu benennen, dass die Operation Luxor im Jahr 2020, die größte Polizeiaktion in Österreich seit dem zweiten Weltkrieg war und sich gegen hunderte Österreicher mit ägyptischen und syrischen Wurzeln richtete. Sie war groß angelegt gegen „Terrorismus“, vorrangig die Hamas und die Muslimbruderschaft. Sie hatte enormen sozialen und politischen Erfolg, weil damit die Palästinasolidarität, die von arabischen und muslimischen Communities getragen wurde lahmgelegt wurde, zerstört wurde. Juristisch ist dabei nichts herausgekommen, sozial genommen war der Schaden enorm groß und der Erfolg fürs Außenministerium, das die Unterstützung für das Siedlerprojekt in Palästina forcieren wollte.


Davor war die Repression in den 1990er Jahren und 2000er Jahren immer auf der Ebene v.a. von linker Diffamierung aus einer sehr rassistischen rechten Strömung innerhalb der Linken, der Antideutschen. Die konnten sich festsetzen mit bestimmten rassistischen Stereotypen innerhalb der Linken. Diese wurde nicht abgelehnt. Innerhalb der Linken wurde eher gesagt „manchmal haben sie ja recht“. Diese Strömung wurden in der KPÖ und der SPÖ aufgebaut, ihre Vertreter bekamen wichtige Parteiposten. So ist die Antifa heute hier, anders als die Antifa in den USA die Straßenkämpfe organisiert, zu einem staatlichen Instrument geworden um progressive Politik zu diffamieren.


Die Rote Fahne: Im Angesicht dieser Repression, welche Maßnahmen plant ihr? Wie kann man euch unterstützen? Wie sieht die weitere Arbeit des Vereins Dar al Janub aus?


Dar al Janub: Was wir jetzt gemacht haben, dass wir an die Öffentlichkeit gegangen sind, finden wir sehr erfolgreich und wir freuen uns die Gelegenheit zu bekommen uns zu äußern, wie hier durch die Roten Fahne. Und, seit 20 Jahren haben wir zum ersten Mal eine OTS-Aussendung gemacht die original zitiert wurde, auch von Medien wie dem „Standard“. Das hat uns überrascht, sicherlich hat die Eskalation des Innenministeriums ihres dazu beigetragen. Unser Programm der letzten Monate war es das Veranstaltungen etc. organisiert werden. Unser Dank gilt allen die uns unterstützt haben und nicht die Straßenseite gewechselt haben.


Wir müssen aber auch sagen, niemand von uns sitzt mit frisch amputiertem Bein in einem Tunnel im Gazastreifen. Dieselben Methoden des Völkermords werden auch im Sudan und auch in Lateinamerika angewendet werden, wenn dort der Krieg weitergeht. Wir müssen weiterhin auf die Straße gehen um zu protestieren, die Debatte weiterführen und dürfen uns nicht auf die Diffamierung konzentrieren, sondern darauf eigene Erkenntnisse zu verbreiten. Gut, dass es abseits der Institutionen Räume gibt die innerhalb der Gesellschaft Meinungsaustausch führen unter solidarischer Kritik, unter Wiedererlernen der Debatte und wann die Kritik endet und wann die Diffamierung beginnt.


Die Rote Fahne: Vielen Dank für das Interview!



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