Kämpferische Proteste in Frankreich: „Bloque tout“ - Blockiert alles!
- Patrick O.
- vor 15 Minuten
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Spätestens der Rücktritt des neuen Premierministers Sébastien Lecornu[1], der nicht einmal einen Monat lang im Amt war, hat die politische Krise der französischen Herrschenden verstärkt auch in die internationale Mainstreammedien gebracht. Lecornu hat das Amt nach dem Rücktritt von François Bayrou übernommen, der mit der Durchführung eines neuen Budgetplans – einem Generalangriff auf Arbeiter, Angestellte und auch breite Teile der Zwischenschichten – gescheitert ist. Lecornu war der fünfte Premierminister in nicht einmal zwei Jahren, und wie seine Vorgänger ein enger Vertrauter des Präsidenten Emmanuel Macron. Die Unzufriedenheit und der Zorn der französischen Bevölkerung gilt dabei hauptsächlich dem „Macronismus“, der immer weiter in Bedrängnis gerät. Gleichzeitig werden aber auch jene Teile der Bevölkerung aktiver, die nicht nur den elitären Kreis rund um Macron, sondern mit diesem eine Ablehnung gegenüber der kapitalistischen Klassenherrschaft – ob im rechten oder „linken“ Gewand – eint. Die derzeit sich entwickelnde kämpferische Bewegung „Bloque tout“ - blockiert alles! - bringt auch diese Entwicklungen zum Ausdruck.
Sparpaket auf dem Rücken der Arbeiter
Wie in vielen anderen europäischen Ländern versuchen die Herrschenden die zunehmende wirtschaftliche Krise sowie ihren Drang nach neuer militärischer Aggression, vor allem auf dem Rücken der Arbeiterklasse auszutragen. Das Sparprogramm, welches Ex-Premier Bayrou dazu vorgestellt hatte, beinhaltete eine sogenanntes année blanche, ein „eingefrorenes“ Jahr: Leistungen, Pensionen oder Sozialhilfen sollen nicht an die Inflation angepasst werden. Jeder dritte Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst soll gestrichen werden, weiter sind Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich, mit dem Kernelement der Erhöhung des Selbstbehaltes für Patienten, vorgesehen. Rund 40 Milliarden sollten damit eingespart werden, während das Militärbudget bis zum Jahr 2027 auf 64 Milliarden pro Jahr angehoben werden soll (eine Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2017). Der Plan zwei Feiertage zu streichen, um „die Produktivität“ zu steigern, wurde als erstes wegen großem Protest wieder fallen gelassen.
Das angekündigte Sparprogramm brachte das Fass zum überlaufen. Anders als die Jahre davor, entwickelte sich die aktuelle Protestbewegung zu Beginn nicht über die Gewerkschaften. „Le 10 septembre, blockouns tout!“ wurde zuerst über soziale Netzwerke verbreitet, in lokalen Initiativen und Versammlungen wurden Aktionen beschlossen. Das Ziel sollte sein, das Land mit Blockaden, Besetzungen und Streiks zu weiten Teilen lahm zu legen. Vor allem lokale Gewerkschaftseinheiten sprachen sich sehr schnell für die Beteiligung durch Streiks und Blockaden aus, die Gewerkschaftsspitzen musste diesem Druck bald nachgeben und mobilisierte ebenfalls.
Die Septemberbewegung legt Teile des Landes lahm
Am 10. September beteiligten sich mehr als 300.000 Menschen an Blockaden, Streiks, Demonstrationen und Kämpfen, am 18. September war es bereits eine Million. Am 2. Oktober wurden neuerlich Blockaden und Streiks durchgeführt. Mit insgesamt über 1.000 Blockaden im Land, hunderten Besetzungen von Schulen und Universitäten und mehr als 1.000 Streikaufrufen sowie gleichzeitig stattfindenden Demonstrationen in dutzenden Städten des Landes, zeigten die französischen Arbeiter, Studenten, Jugendliche und andere Teile der Bevölkerung erneut, welche Kraft in der kollektiven und kämpferischen Einheit und Aktion liegt. Selbst die Mobilisierung von 80.000 Polizeikräften und die Inhaftierung von über 670 Protestierenden alleine am 10. September, konnte nicht verhindern, dass nun nicht nur der neue Budgetplan grundlegend in Frage gestellt worden ist, sondern zudem auch die gesamte Regierung Macrons. Die Septemberbewegung der französischen Arbeiter und Massen bestätigte damit erneut eine grundlegende Tatsache, die besonders in Zeiten wie heute zurück ins Bewusstsein des Volkes geholt werden sollte: Nicht als Stimmvieh bei dieser oder jener Wahl wird über die Rechte und den Einfluss des Volkes entschieden, sondern nur in ihrer selbstständigen Aktion und im Zusammenschluss.
Reformismus verliert an Einfluss, Revolutionäre können Erfolge verzeichnen
Der kämpferische und selbstbewusste Charakter der diese Bewegung mit auszeichnete, lag auch daran, dass eine systemkonforme, reformistische Führung in vielen Teilen des Landes isoliert werden konnte, welche zwar große Reden schwingt, doch in Wirklichkeit zu jedem Kompromiss auf Kosten der Rechte des Volkes bereit ist. Bei den jüngsten Protesten gegen die Pensionsreform, war es die „linke“ Volksfront welche die Bewegung verraten hat. Der Rassemblement National (RN), der sich ansonsten als konsequente Opposition gegen Macron inszeniert, erkläre, es sei nicht seine Rolle „das Land zu destabilisieren“, und stellte sich gegen die Proteste. Hingegen konnten revolutionäre Kräfte verstärkten Einfluss und Vertrauen gewinnen, welche den Protest unterstützten und zu ihren aktivsten Kräften zählten. Die Zeitung La Cause du Peuple, eine revolutionäre Zeitung aus Frankreich, berichtete über diese Entwicklung: „Diese Bewegung, die nur der Anfang ist, ist Resultat von Vorbereitungen ‚von unten‘, in Hauptversammlungen wo verschiedene Sektoren der Volksmassen zusammen gekommen sind. Diese Entwicklung zeigt ein hohes Niveau von Politisierung der mobilisierten Massen, wo die Ablehnung des Regimes und des kapitalistischen Systems die klare politische Linie ist welche die gesamte Bewegung vereint“. Auch wenn die Bewegung es nicht schaffte in einem Tag das gesamte Land „lahm zu legen“, wie es der Innenminister triumphalistisch wiederholte, wurde doch deutlich wie sehr sich die Herrschenden doch genau davor fürchten „die Kontrolle zu verlieren“. La Cause du Peuple berichtete über Fortschritte welche durch diese Bewegung entwickelt wurden, und welche die Ängste des Innenministers in gewissem Maße bestätigen: „Mehr als zuvor sehen wir dass die organisierten revolutionären Kräfte neue Kräfte zusammenbringen können und mit der spontanen autonomen Bewegung brechen konnten, die bisher der einzige Horizont für jene war, die gegen das System rebelliert haben. Die heutige Jugend will ernsthafte Organisationen und spezifische politische Ziele, nicht länger idealistische Abenteuer, sondern einen konkreten Dienst am Volk und an der Revolution leisten.“
Die Arbeiter haben gemeinsame Interessen über Landesgrenzen hinaus
Nicht zuletzt die Gelbwestenbewegung und die Kämpfe gegen die Pensionsreform in Frankreich zogen in vielen Ländern Europas die Sympathie und Begeisterung der Arbeiter und Massen auf sich. Die Beharrlichkeit und das Selbstvertrauen der französischen Arbeiter, Angestellten, Studenten, als auch Teilen der Mittelschichten im Kampf gegen Angriffe auf ihre Rechte ist zurecht für viele ein Beispiel gegen den Untertanengeist der sich auch in Österreich nur allzu hartnäckig im Vertrauen an die „Vernunft der Obrigkeit“ und wenig Selbstvertrauen in die kollektive Kraft des Volkes setzt. Während sich die Herrschenden in den verschiedensten Ländern für jeden kleinen Vorteil am liebsten gegenseitig zerfleischen, haben die Arbeiter und die Volksmassen über die Landesgrenzen hinaus gewichtige gemeinsame Interessen. Die Sparpolitik der Regierungen, die Förderung der Verarmung der Bevölkerung und die Beschneidung ihrer Rechte im Interesse der „militärischen Aufrüstung“, ist eine Tendenz in der Mehrheit der Länder in Europa. Solidarität mit den französischen Protesten und der Septemberbewegung ist daher ein Teil der Verteidigung der eigenen Interessen.
[1]Dieser Artikel wurde vor der erneuten Ernennung von Lecornu als Premier verfasst.
Bildquelle: redherald.org
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