(Gastbeitrag von Martin L.)

Der Publizist, Verleger und Historiker Hannes Hofbauer hat im hauseigenen „Promedia Verlag“ 2024 das Buch „Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland“ veröffentlicht. Kurz zusammengefasst lautet seine Botschaft: Die Sanktionen gegen Russland funktionieren nicht. Der größte Teil des Buches von Hofbauer beschäftigt sich mit der praktischen Frage, wer konkret Ziel der verschiedenen Sanktionsmaßnahmen war und wie sie sich letztendlich ausgewirkt haben. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass gerade im Wirtschaftskrieg die (unbeabsichtigte) Schädigung von Verbündeten („friendly fire“) besonders häufig vorkommt. Statt der gewünschten globalen Isolierung Russlands und der mit Russland Handel treibenden Staaten, rücken die vom Westen sanktionierten Länder enger zusammen und der Dollar verliert als internationale Währung zunehmend an Bedeutung.
Vom Wesen des Wirtschaftskrieges
Doch wie der Titel schon sagt, ist Russland letztlich nur ein Beispiel. Hofbauers große Leistung besteht darin, nicht nur über dieses hochaktuelle Beispiel der Sanktionspolitik zu informieren, sondern es auch historisch einzuordnen. Was sind Sanktionen überhaupt? Welchem strategischen Zweck dienen sie und in welchem Verhältnis stehen sie zum Völkerrecht? Hofbauer zeigt dies nicht nur anhand historischer Beispiele in chronologischer Reihenfolge auf, sondern regt auch zum Weiterdenken an: „Schießkriege und Wirtschaftskriege hängen zusammen“ (1). Zwar geht die ökonomische Waffe der kriegerischen oft voraus, aber die Wirksamkeit von Blockaden und Sanktionen gelingt selten „ohne gleichzeitigen Waffengang“ (2). Sowohl der Krieg mit der Waffe als auch der Wirtschaftskrieg sind Mittel der Machtpolitik, die - so grausam sie auch sein mögen - ein rationales Ziel verfolgen, an dem ihr Erfolg oder Misserfolg gemessen wird.
In der jüngeren Geschichte, in der sich die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimität von Sanktionen stellt, dreht sich, wie könnte es anders sein, fast alles um das Sanktionsregime der USA: „Washington erpresst spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg jede Regierung, die ihm nicht genehm ist und sich trotz Mahnung widerspenstig verhält, das heißt: sich den Interessen amerikanischer Konzerne nicht beugt“ (3). Ohne sich in der Polemik einzelner Konflikte oder des Kalten Krieges zu verlieren, zeigt Hofbauer, warum hier das Völkerrecht mit Füßen getreten wird. Dem imperialistischen und antikommunistischen Marshall-Plan der USA und dessen Coordinating Committee ist ein Unterkapitel gewidmet. Dabei betont Hofbauer: Die USA gaben die Überwachung des Osthandels auch in den 1990er-Jahren nicht völlig auf. Wege das Embargo zu umgehen, gab es damals (Österreich spielte dabei keine unbedeutende Rolle (4)) wie im Wirtschaftskrieg heute, wo Russland eine Vielzahl von Gegenmaßnahmen und Anpassungsstrategien ins Treffen führt, denen Hofbauer ein eigenes Kapitel widmet.
Zweifellos haben Sanktionen, Embargos und Boykotte in der globalisierten Welt unter der Vorherrschaft der USA weitreichende Auswirkungen. Aber diese Methoden wurden bereits in früheren Epochen angewendet und bewusst reflektiert. Hofbauers Einführung in das Thema - die Darstellung der historischen Entwicklung umfasst die englischen East Indian Trading Company seit dem frühen 17. Jahrhundert, sowie die napoleonischen Kontinentalsperre zu Beginn des 19. Sie stellt somit eine wichtige Ergänzung zur polemischen Schwarz-Weiß Malerei vieler USA fixierter Globalisierungskritiker heute dar.
Vom Ukrainekrieg zu den Sanktionen
Bei was das Buch durch seine detaillierte Darstellung glänzt, ist die Geschichte der westlichen Sanktionen gegen Russland. „Westliche Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind seit über hundert Jahren zu einer historischen Konstante geworden.“ Zur erneuten Eskalation kam es – so analysiert Hofbauer – infolge der »Östlichen Partnerschaft«:
„Nach der Eingliederung Rumäniens und Bulgariens in die Europäische Union im Jahr 2007 plante die »Östliche Partnerschaft« weitere wirtschaftliche Ausgriffe in Richtung Osten. Konkret sollten sechs exsowjetische Republiken aus dem Einflussbereich Moskaus herausgelöst werden, indem man ihnen Angebote zu einer wirtschaftlichen – und teilweise militärischen – Anbindung an die EU machte, ohne vorerst eine Mitgliedschaft ins Auge zu fassen. Das Format der »Östlichen Partnerschaft« sollte in bilaterale Assoziationsabkommen zwischen der EU als Block und dem jeweiligen Staat münden. Im Visier der Brüsseler Erweiterer standen Moldawien, Georgien, Armenien, Aserbeidschan, Belarus und die Ukraine.“ (5)
Die Erkenntnis, dass der geopolitische Dominanzanspruch des Westens hinter den Sanktionen steht und Kapitalfraktionen die Gelegenheit nutzen, ihre Konkurrenten auszuschalten, hindert Hofbauer jedoch nicht daran, die ideologisierte Form des Konflikts, die Mobilisierung durch den Kulturkampf auf beiden Seiten, in den Blick zu nehmen. „Das Moskauer Regime in Form von Kreml und orthodoxem Patriachat zieht sich dabei zunehmend auf die Verteidigung konservativer Gesellschaftsbilder zurück, während im Westen Kapital und Politik dazu übergehen, ihren gesellschaftlichen Rückhalt linksliberal-grün mit dem Weltbild individualisierter Diversität zu unterfüttern.“
Hofbauer geht detailliert auf die Sanktionsziele der jeweiligen Konfliktphasen ein und analysiert Intention und Wirkung der Maßnahmen: „Nach den ersten Personensanktionen der EU und den USA, die am 6. März 2014 die führenden politischen Gegner des ukrainischen Staatsstreichs im Anschluss an den Majdan trafen, kamen ab Mitte März russische Unternehmerfiguren auf die schwarzen Listen der Europäischen Union, der USA, Kanadas und Australiens. Die Begründung dafür mutete seltsam an, wenn man berücksichtigt, wie sehr der liberal-kapitalistische Westen darauf schaut, dass Eigentum nicht angetastet wird – und zwar egal, unter welchen historischen Umständen es erworben wurde.“
Hofbauer wirft die Frage nach der Treffsicherheit der Sanktionen auf, schließlich sind die sanktionierten russischen „Oligarchen“ wirtschaftlich oft sehr eng mit westlichen Kapitalfraktionen verbunden (Oleg Deripaska, Raiffeisen und Strabag), standen dem Kreml oft nicht bedingungslos nahe und haben häufig sogar mehrere Staatsbürgerschaften (Roman Abramowitsch). Er zeigt aber auch anschauliche Beispiele, wie Sanktionen und Russophobie im Westen bis in den kulturell-zivilgesellschaftlichen Bereich vorgedrungen sind. So schildert Hofbauer den Fall von Johanna Wagner, gegen die rechtliche Schritte eingeleitet wurden, weil sie über ukrainische Nazis und die von ihnen tatsächlich verwendeten Symbole berichtet hatte. Hofbauer ist erfahren im Umgang mit Cancel Culture und Zensur. Über den Abgründen des Kulturkampfes bleibt er stets erhaben, ohne die Augen zu verschließen.
Fazit – das Komplizierte einfach erklärt
Ganz nebenbei, ohne sich aus dem Fenster lehnen zu müssen, berichtet Hofbauer das, was mittlerweile auch von ehemaligen Sanktionsbefürwortern zu hören ist: Die Sanktionen haben so gar nicht den gewünschten Effekt. Europäer die durch ihre enge wirtschaftliche Verflechtung mit Russland viel zu verlieren haben, machen die Politik der USA. „Der Kampf um Öl und Gas“, wie eines der Unterkapitel heißt, endet bezeichnenderweise mit dem „Kampf um Nord Stream 2“, dem berühmten und kostspieligen deutsch-russischen Infrastrukturprojekt, dass auf Druck der USA hin in den Sand gesetzt wurde. Russland ist kein kleines Land das von den UN geschlossen isoliert wird, im Gegenteil. Es ist ein großes Land, das über unglaubliche natürliche Ressourcen verfügt, selbst im UN-Sicherheitsrat sitzt und den Zorn der von den USA und dem westlichen Imperialismus unterdrückten Nationen in gewisser weise kanalisieren kann. Zum Teil kurbeln die westlichen Sanktionen, wie Hofbauer zeigt, sogar die russische Produktion an und fördern die Innovation.
Ich kann Hofbauers „Im Wirtschaftskrieg“ nur empfehlen. Es eignet sich sowohl dazu die Details des nun mehr als 10 Jahre andauernden Ukrainekonflikts aufzufrischen, gibt eine historische Einführung darin wie Embargos seitens der Kapitalisten als Waffe benützt werden und hilft dabei sich eine kritische Meinung abseits der Mainstreammedien zu bilden.
(1) Hannes Hofbauer: „Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland“; Promedia Verlag 2024; S. 17.
(2) Ebd. S. 31
(3) Ebd. S. 65
(4) Ebd. S. 45-49
(5) Ebd. S. 81
Bildquelle: Promedia Verlag, https://mediashop.at/
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