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Editorial: Wirtschaftliche Rezession und politische Krise.

Aktualisiert: 19. Sept. 2023


Karl Marx, der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, legte in seinen Analysen dar, dass in der Gesellschaft die ökonomische Basis (also die Produktionsverhältnisse) und der daraus resultierende politische „Überbau“ ein wechselseitiges, dialektisches Verhältnis besitzen. Entgegen aller verschiedenen Theorien des „Ideenkampfes“ sollte man in der Beurteilung der Lage und Verhältnisse daran anknüpfen.


Wollen wir die derzeitigen politischen Entwicklungen beurteilen, müssen wir uns auch die Frage der Ökonomie, der „Wirtschaft“ ansehen. Trotz aller noch vor einem halben Jahr getroffenen (zweck-)„optimistischen“ Einschätzungen von Seiten der Wirtschafts„experten“ für das zweite Halbjahr 2023, entwickelte sich die Lage gegenteilig und sie mussten bereits ihre Prognosen korrigieren. Selbst nach bürgerlichen Ökonomen befinden wir uns in einer Krisensituation die in den letzten 25 Jahren nur noch mit der Krise 2008/09 und dem Beginn von Corona 2020 vergleichbar ist (1).


Besonders davon betroffen ist die Industrie, die jedoch die höchste Wertschöpfung aller Branchen aufweist. Die neueste Konjunkturerhebung der Industriellenvereinigung (IV) vom Juli 2023 beschreibt eine Rezession besonders in der Industrie. „Die Eintrübung der Konjunkturaussichten ist strukturell, nicht saisonal“, so IV-Chefökonom Christian Helmenstein. Damit verdeutlicht er, dass es nicht um eine kurzfristige Krise geht. Investitionen stocken, Kreditnachfragen von Konzernen sind deutlich gesunken und die Produktion musste vielerorts deutlich zurückgefahren werden. So rechnet die IV allein in den nächsten drei Monaten mit einigen Tausend Industriearbeitsplätzen die wegfallen werden. Während liberale Blätter wie der Standard noch einen falschen Optimismus verbreiten und darlegen, dass zwar die deutsche Industrie eine tiefe Krise erlebt, Österreichs Industrie aber „robust bleibt“, ist die Wirklichkeit eine andere. Obwohl Österreich noch nicht so hart getroffen wurde, ist klar, dass das marshallisierte Österreich in vielen Industriebranchen fest an Deutschland gebunden ist und Krisen im nördlichen Nachbarland sich zwar verspätet, aber deutlich auf Österreich auswirken. Die Lage birgt also eine harte Mischung: Investitionsstau und Produktionsdrosselung bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit. Die Klasse der Kapitalisten wird diese sich weiter vertiefende Krise mit Maßnahmen und Angriffen gegen die Arbeiterklasse und das Volk abzuschwächen versuchen. Gleichzeitig gibt es eine politische Krise und große Teile des Volkes fordern höhere Löhne und wirkliche Maßnahmen gegen die Inflation.


Damit verbunden sind natürlich die im Herbst anstehenden KV-Verhandlungen. Einerseits können es sich die Kapitalisten und Monopolkonzerne aufgrund der politischen Krise nicht so schnell leisten, das Lohn- und Lebensniveau der Arbeiter noch entscheidend weiter nach unten zu drücken, ohne dabei auf massiven Widerstand und Protest zu stoßen. Es ist also anzunehmen, dass es teilweise Zugeständnisse gibt, jedoch keine allzu weitgehenden. In dieser Situation der Krise des Kapitals ist die Ausgangslage für Kampfmaßnahmen der Arbeiter und Angestellten gut, jedoch braucht es Zusammenschluss und klare Forderungen im Interesse der Arbeiter. ÖGB-Präsident Katzian hat die Forderung eines Bruttolohnes von 2.000 Euro aufgenommen, ebenso wie FPÖ-Parteichef Kickl. Beide wetterten nicht wenig gegen die Forderung von 2.000 Euro netto, das sei „viel zu übertrieben“. Die Sozialdemokratie hat auch ihr Lieblings-Ablenkungsmanöver ins Spiel gebracht: die Arbeitszeitverkürzung. Während die Arbeitszeitverkürzung tatsächlich ein wichtiges Anliegen breitester Teile des Volkes ist, bleibt diese Forderung der SPÖ und des ÖGB mit Vorsicht zu genießen. Einerseits darf die Arbeitszeitverkürzung nicht gegen die Lohnerhöhung gestellt werden und damit vom derzeit wichtigsten ökonomischen Anliegen der Arbeiter ablenken. Andererseits trommelt die SPÖ dieses Thema schon seit Jahrzehnten mal mehr mal weniger, während das einzige das „erreicht“ wurde die von SP-Kanzler Kern vorgeschlagene Erhöhung der wöchentlich rechtlich möglichen Arbeitszeit auf 60 Stunden (!) ist. Die Sozialdemokratie erweist sich also in Krisenzeiten als die beste Bewahrerin kapitalistischer Interessen. Sich bei diesem ganzen Spiel auf die Sozialdemokratie oder die Gewerkschaftsführung zu verlassen, wird der Arbeiterklasse weitere Verschlechterungen und Betrugsmanöver einbringen. Obwohl ein Bruttolohn von 2.000 für viele tatsächlich eine Verbesserung wäre, ist es heute dennoch eine völlig zu niedrig gefasste Forderung, denn netto würden nur etwas über 1.500 Euro bei Vollzeit herauskommen. Angesichts der Teuerung ist jede Forderung unter 2.000 netto keine eindeutige Verbesserung für die Lage der Arbeiter und Angestellten. Klar ist jedoch, dass wirkliche Verbesserungen Kampfmaßnahmen erfordern und gegen die Kapitalisten erzwungen werden müssen.


In Zeiten der sich vertiefenden ökonomischen, als auch politischen Krise versuchen die Herrschenden nicht nur die Arbeiter und das Volk weiter auszuquetschen, sondern sich auch auf zunehmende soziale Verschärfungen und Proteste vorzubereiten. In diesem Licht muss auch der beschlossene EU „Digital Service Act“ verstanden werden. Dieses Gesetz sieht vor, dass künftig alle Social-Media-Plattformen und digitale Unternehmen nur noch jene Informationen verbreiten dürfen, die nicht gegen die Verordnung verstoßen. Ansonsten wird der Zensurstift angesetzt. Dieser antidemokratische Vorstoß soll die Meinungsfreiheit weiter einschränken und stellt eine höhere Stufe der Überwachung, Kontrolle und Zensur in digitalen Medien dar. Als Beispiele können sowohl die Zeit der Corona-Maßnahmen, als auch die Frage des Ukraine-Kriegs herangezogen werden, um zu veranschaulichen welche Art von unliebsamen Meinungen und „Desinformation“ gemeint ist. Kritische Stimmen und Protest sollen also aus den Sozialen Medien gestrichen werden, die „Konsensfabrik“, wie Noam Chomsky es nannte, hat zugeschlagen!





(1) ots.at, Industriellenvereinigung


Bildquelle: Abrisshaus - VSchagow - CC-BY-SA-4.0

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