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Editorial: Die Ordnung die sie meinen.



Für das vergangene Silvester kündigte die Polizei ein „repressives“ Vorgehen gegen all jene an, die sich nicht an die gesetzlichen Bestimmungen halten. Mit erhöhtem Personal, Polizeihunden und Drohnen wurde die „Verbrecherjagd“ begonnen. Und diese „Verbrecher“ haben sie auch gefunden: In einem Gemeindebau in Wien/Floridsdorf wurde eine Gruppe Jugendlicher mit Böllern „ertappt“ und dementsprechend behandelt. Der Bevölkerung müsse ja gezeigt werden, wie man mit solch schweren Verbrechern verfährt.


Die Frage die dahinter steht ist, welche „Sicherheit“ und „Ordnung“ hier verteidigt und gewahrt werden soll. Die Polizei berichtet, sie wäre von den Jugendlichen mit Böllern angegriffen worden. Beweise dafür gibt es bislang keine, sondern nur ein Video, das im Gegenteil Gewalt der Polizei gegenüber den Jugendlichen dokumentiert. „Wos wüst du klana Rotzbua! Du bist eingesperrt! Und du a!“, war der Umgangston. Die Polizei hatte zu Silvester sozusagen einen Freifahrtsschein, denn dass trotz Pyrotechnikverbot geschossen werden wird, war schon vorher klar. Es sollte gezeigt werden, wie eine gewünschte Ordnung durchgesetzt werden kann und wer ist hier besser geeignet das zu demonstrieren, als Jugendliche? Sozusagen ein Warnsignal, dass man sich nicht nur an alle Verbote (sinnvoll oder nicht) halten solle, sondern am besten nur das tut, was ausdrücklich erlaubt und gewünscht ist. Es soll eine Ordnung der Angst und des „sich Duckens“ aufrechterhalten werden. Auch wenn diese Ordnung nichts mit den Bedürfnissen und Interessen des Großteils der Bevölkerung zu tun hat!


Sehrwohl etwas zu tun hat diese Vorgehensweise mit der Vorbereitung auf Widerstand und Protest in der Bevölkerung. Der Boden dafür ist schon bereitet, denn selten zuvor gab es so große Unzufriedenheit und Wut über die politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen. Selten zuvor war die Sicherheit und hier vor allem die soziale Sicherheit des Volkes so instabil. Vieles was als Gegeben und Erwartbar erschienen ist, hat sich in Luft aufgelöst: kann ich meinen Kindern eine gute Zukunft ermöglichen, kann ich mir Wohnung, Essen und Heizen noch leisten, kann ich mir ein Haus bauen, in Urlaub fahren, meinen kulturellen Interessen nachgehen uswusf…. In so einer Situation nach „Ordnung“ zu rufen, muss ein repressiveres Vorgehen der Sicherheitsorgane, eine Aufrüstung und Entdemokratisierung nach Innen zur Folge haben. Die soziale Sicherheit der Bevölkerung steht der „Sicherheit“ des politischen Kurses der Mächtigen und Herrschenden entgegen. Die Jugendlichen sind offensichtlich nur das Testfeld.


Bundespräsident Van der Bellen verglich in seiner Neujahrsansprache die verheerende Lage für die Bevölkerung und deren Misstrauen gegenüber der Politik mit einem „Wasserschaden“, dessen „Generalsanierung noch immer nicht begonnen“ hat. Seine Antwort: Man solle „Hoffnung zulassen“ und an einen „guten Ausgang glauben“. Dass das nicht stimmt ist (fast) allen klar, sogar dem Bundespräsidenten. Gleichzeitig betonte dieser, dass „Europa seine geostrategische Rolle finden und verteidigen“ müsse. Hier geht es ebenfalls um nichts anderes als die Verteidigung einer „Ordnung“, der „europäischen Ordnung“, vor allem im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine. Und um diese Ordnung zu verteidigen senden nun die USA, Frankreich und Deutschland Panzer direkt an die Ukraine. Bisher erhielt Kiew nur Kampf- und Schützenpanzer sowjetischer Bauart von osteuropäischen NATO-Staaten, aber beispielsweise noch keine Panzer wie jene vom Typ Marder oder Leopard 2 aus deutscher Produktion. Der grüne Vizekanzler Deutschlands, Robert Habeck, meinte: „Wir haben in der Vergangenheit die Unterstützung der ukrainischen Armee immer der Situation angepasst“. Eine „neue Situation“ erfordert also schweres Kriegsgerät. Österreich als EU-Mitglied, zwar am Papier neutral, hat keine Einwände bei der Verschärfung der Kriegssituation, sondern macht mit. Zweifelsfrei wird diese Situation die Sicherheit der Völker nicht erhöhen, sondern zu weiteren Verschärfungen und Ordnungsrufen führen. Wie viel von dieser Ordnung und Unsicherheit ist aber für die Völker trag- und hinnehmbar?


Böllerwerfende Jugendliche sind keine ernsthafte Bedrohung für Polizei oder Staatsapparat. Sie sind aber Vorbote einer wirklichen Bedrohung: wenn sich die Massen zu fragen beginnen, wessen Ordnung verteidigt wird. Wenn es eine Zeit der Unordnung braucht, um eine andere Ordnung im Dienste der Arbeiter und des Volkes herzustellen, ist das ein kleiner Preis. Die Revolutionärin Rosa Luxemburg schrieb einen Tag vor ihrer Ermordung: „Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut!“ Und so behielt sie bis zu ihrem 104. Todestag, am 15. Jänner 2023, recht!

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