Ecuador: „Kämpferischste Proteste der Geschichte des Landes“
- Patrick O.
- vor 7 Stunden
- 4 Min. Lesezeit

Seit mehr als einem Monat kämpfen die ecuadorianischen Indigenen, Arbeiter, Bauern und Studenten gegen die volksfeindlichen „Reformpläne“ des Präsidenten Daniel Noboa. Ein 30 Tage andauernder Generalstreik, Straßenblockaden und Massenproteste des Volkes legten große Teile des Landes, vor allem die nördlichen Provinzen, lahm. Lokale Organisationen sprechen von einem Aufstand. Großflächigen Bombardierungen in den Protestzentren schaffen einen Präzedenzfall im Umfang der Repression gegen das Volk. Der Tropfen, der das Fass des Zorns der Bevölkerung zum Überlaufen brachte, war die Aufhebung der sogenannten Dieselsubvention, eine „Auflage“ des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die einseitige Beendigung des Generalstreiks von einzelnen Führern der indigenen Dachorganisation Ende Oktober hat die Frage der weiteren Ausrichtung und Orientierung der Volksbewegung ins Zentrum gestellt.
Langjähriger Widerstand kanalisiert sich
Immer wieder wurde in den letzten Jahren versucht die Dieselsubvention in Ecuador aufzuheben, immer wieder wurde dieser Versuch durch die Proteste des Volkes abgewehrt. Präsident Noboa ist Sinnbild einer tiefen politischen Krise des bürokratisch-kapitalistischen Staatsapparates in Ecuador, welche er durch eine noch weitere Unterordnung unter US-amerikanische Forderungen zu lösen versucht. Drastische Senkung des Lebensstandards, Beschneidung von Arbeiterrechten, Angriffe auf die Indigenen- und Bauernbewegung, sowie die weitere Militarisierung des Landes, haben seine Wählerbasis selbst in ehemaligen Hochburgen rapide schrumpfen lassen. Die Aufhebung der Dieselsubvention im September dieses Jahres führte über Nacht zur Verdoppelung (!) des Treibstoffpreises und ließ die Preise aller Grundversorgungsmittel in die Höhe schießen. Indigene, Arbeiter, Bauern, Studenten und Kleingewerbetreibenden mobilisierten daraufhin zu einem umfassenden Generalstreik und Straßenblockaden. Der Unmut und Zorn vieler Jahre der Verschlechterungen kanalisierte sich. Als einer der „langwierigsten und kämpferischsten Proteste der Geschichte des Landes“, charakterisierte diese die revolutionäre Organisation Front zur Verteidigung der Volkskämpfe in Ecuador (FDLP-EC).
Staatsterror: Ausgangssperre und großflächige Bombardierungen
Unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus und den Drogenhandel versucht die Regierung mit einer Politik der „verbrannten Erde“ den Volksaufstand blutig niederzuschlagen. Ausnahmezustand, Ausgangssperren, scharfe Munition, Morde, Folter, sowie Bombardierungen in den Aufstandszentren im Norden des Landes waren die Maßnahmen der Herrschenden gegen die Hartnäckigkeit der Bewegung. Teilnehmer der Bewegung sprechen von einem historischen Präzedenzfall im Umfang der Bombardierungen im Inneren des Landes: Bewaffnete Fahrzeuge, BM-21-Mehrfachgeschosswerfer, rückstoßfreie Geschütze, Mörser und Bomben aus Super-Tucano-Kampfjets haben weite Waldgebiete und landwirtschaftliche Gebiete verwüstet. Es gehe dabei um die Anwendung der „präventiven Aufstandsbekämpfung“, die durch das US-Südkommando (US Southcom) vorangetrieben wurde und nun als herrschende Doktrin der lokalen Machthaber angewendet wird.
Die Aggressivität der Regierung, des Militärs und der Polizei gegen die Bewegung habe laut der Front zur Verteidigung der Volkskämpfe in Ecuador (FDLP-EC) auch den Hintergrund, den US-amerikanischen Monopolen und Investoren zu suggerieren „alles im Griff zu haben“. (Die erste Twitternachricht des Präsidenten nach den Bombardierungen richtete sich direkt an Trump, wo er die „Standhaftigkeit Ecuadors im globalen Kampf gegen den Drogenhandel“ beteuerte.) Die aktuellen „Reformpläne“ der Noboa Regierung seien dabei ein weiterer Schritt in der Unterordnung und dem Ausverkauf des Landes an die Diktate des US-Imperialismus. Es gehe dabei nicht nur um die Erfüllung der IWF-Auflagen, sondern es zielt darauf ab „Ecuador von einer Halbkolonie in eine militärisch, wirtschaftlich und politisch unterworfene Kolonie zu verwandeln.“.
Verrat durch falsche Führer der CONAIE
Mehr als 30 Tage widersetzten sich die Protestierenden kampfentschlossen den repressiven Maßnahmen der Regierung. Drei Menschen wurden durch die Repression getötet, Hunderte verletzt und inhaftiert. Nicht die Aggression der Polizei oder des Militärs konnte den Generalstreik aber letztendlich brechen, sondern der Verrat durch falsche Führer. Entgegen den Forderungen der kämpferischen Streik- und Blockadebewegung einigte sich die Führung des indigenen Dachverbandes CONAIE auf einen „Deal“ mit der Regierung: Anstelle der Erfüllung der Forderungen solle eine unverbindliche Volksbefragung und Arbeitsgruppen mit der Regierung durchgeführt werden. Viele indigene, bäuerliche und Volksorganisationen lehnen diese falschen Zugeständnisse in Erklärungen und Mobilisierungen ab, unter diesen die oben genannte FDLP-EC, welche die Notwendigkeit betont, den Einfluss dieser falschen Führer abzuschütteln: „All dies zeigt unmissverständlich, dass die indigene Bewegung von den Wahl- und persönlichen Interessen ihrer Führung ausgenutzt und manipuliert wurde. Dasselbe geschieht in Teilen der Gewerkschafts- und Volksbewegung, wo die Illusion fortbesteht, tiefgreifende Reformen durch die Mechanismen des alten Staates erreichen zu können. Diese Illusion führt immer wieder zur Niederlage. (…) Wir müssen damit beginnen, die Verräter auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen und einer neuen Generation von Führern Platz zu machen, die sich für die Interessen der großen Mehrheit einsetzen, nicht mit ethnokulturellen Diskursen, die zu einem Mittel werden, um ihre eigenen Kameraden auszunutzen, sondern die sich für die revolutionäre Umgestaltung der alten Gesellschaft engagieren.“
Kampf um revolutionäre Ausrichtung der Bewegung
Der Kampf gegen den Verrat der Führer der CONAIE ist eng mit der Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Bewegung insgesamt verbunden. Vor allem die fortgeschrittensten Kräfte der Bewegung betonen, dass der Verlauf und die Erfahrungen der Kämpfe selbst zeigten, dass sich die Widersprüche nicht hauptsächlich anhand ethnischer Kriterien („Indigenismus“), sondern Anhang von sozialen, also Klassenkriterien entwickelten: „Wir haben einen Fortschritt gemacht: Die Diskussion dreht sich nicht länger nur über einen „Indigenen Aufstand“ sondern um einen „Indigenen und Volksaufstand“. Wir müssen jedoch nicht nur das Narrativ, sondern auch die objektive Realität vertiefen: Wir müssen uns gegen den banalen, überholten und opportunistischen Diskurs bestimmter Führungskräfte stellen und uns der Aufgabe widmen das Arbeiter-Bauern Bündnis unter ideologischer Hegemonie des Proletariats zu stärken.“ Als halbkoloniales-halbfeudales Land entspricht die Zusammensetzung der Bewegung mit armen Bauern, Handwerkern, Arbeitern, informell Werktätigen den sozio-ökonomischen Bedingungen des Landes. Deshalb könne man laut FDLP-EC die Aufgaben der Bewegung nicht nur durch eine ethnischen Linse betrachten, sondern müsse sie von den Interessen der Mehrheit – Bauern als Hauptkraft und Arbeiterklasse als führende Kraft – ableiten.
Nach wie vor arbeiten verschiedene Teile der Bewegung, besonders die fortgeschrittensten, gegen die verräterischen Zugeständnisse und den Abbruch des Generalstreiks. Eine Gewissheit scheint dabei zu sein, dass die Erfahrungen und Lehren in diesem ereignisreichen und hingebungsvollen Monat des Kampfes, wichtige Erkenntnisse und Allianzen für die demokratische und revolutionäre Bewegung in Ecuador gebracht hat.
Quelle: FDLP-EC













