Venezuela: US-Intervention und antiimperialistische Aufgaben
- Patrick O.
- vor 52 Minuten
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Mit einer enormen militärischen Drohkulisse vor der venezolanischen Küste versucht der US-Imperialismus das zu erreichen, womit er in den letzten Jahrzehnten scheiterte: einen erfolgreichen Regime-Wechsel bzw. eine Kapitulation – oder zumindest weitgehende Zugeständnisse - der Regierung in Venezuela durchzusetzen. Die Angriffe auf vermeintliche „Drogenboote“ im karibischen Meer sind nicht nur eine Verletzung der Souveränität des Landes, sondern läuten auch eine neue Periode im Kampf der USA gegenüber seinem strategischen „Hinterhof“ in Mittel- und Südamerika ein. Nicht zuletzt der lange Schatten der us-amerikanischen Interventionen und Einmischungen am Subkontinent führt zu berechtigter Sorge der lateinamerikanischen Völker und der Ruf „Yankees raus aus Lateinamerika“ ist wieder deutlich zu hören.
Operation „Southern Spear“ (Südlicher Speer)
Seit Mitte September führt das US Süd-Kommando (US Southcom) die sogenannte Operation ‚Südlicher Speer‘ in der Karibik, nahe der venezolanischen Küste, durch. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth begründet dieses militärische Großaufgebot auf fremdem Territorium folgendermaßen: „Es geht darum, unser Land zu verteidigen, die Narco-Terroristen von der westlichen Hemisphäre zu vertreiben und die USA von den Drogen zu befreien, die unsere Leute töten.“(1). Nahe liegt der Vergleich mit der letzten großen Militärinvasion in Panama 1989, wo unter dem Vorwand des Kampfes gegen Drogen eine ‚unliebsame‘ Regierung gestürzt wurde. Doch die innere Situation in Venezuela, als auch die Lage des US-Imperialismus weisen einige wesentliche Unterschiede zu den damaligen Bedingungen auf.
Die USA können sich in der derzeitigen Weltlage keinen weiteren länger andauernden und umfassenderen Krieg mehr leisten, wenn sie ihre strategische Orientierung zur Verteidigung ihrer hegemonialen Stellung auf Weltebene aufrechterhalten wollen. Der enorme Umfang der Militärpräsenz in Mittelamerika und der Karibik deutet jedoch auf eine Neuausrichtung im ‚Hinterland‘, oder anders ausgedrückt, auf eine ‚Erneuerung alter Zustände‘, des US-Imperialismus hin, was als „Monroe 2.0“(2) bezeichnet wird. Der „Atlantic“ schreibt von der „größten militärischen Aufrüstung in der Karibik seit der Kubakrise 1962“. Die Operation Südlicher Speer ist Ausdruck des Plans den Griff auf Mittel- und Südamerika enger zu machen und sich damit auf dem „eigenen“ Kontinent zu stabilisieren. Venezuela wird als Zentrum der Operation gesehen, welche sich gegen alle Länder richtet die sich nicht vollständig den Interessen des US-Imperialismus gegen China und Russland unterordnen. Einen Machtwechsel in Venezuela zu vollziehen ist jedoch weitaus komplexer als 1989 in Panama, wo es relativ einfach war die abtrünnige Regierung zu isolieren und treue US-Lakaien einzusetzen. Maduro mobilisierte in Venezuela zusätzlich zu den regulären Streitkräften die laut offiziellen Angaben fünf Millionen Mann starke Bolivarische Miliz, was für den US-Imperialismus bei einer militärischen Invasion auch bei technisch-militärischen Überlegenheit bedeuten würde einen langwierigen Krieg gegen bewaffnete Teile der Bevölkerung zu führen. Gleichzeitig ist die US-treue Opposition im Land weitgehend isoliert und die anti-us-amerikanische Stimmung in der Bevölkerung sehr stark. Zudem würde eine direkte militärische Intervention auch die in anderen lateinamerikanischen Ländern ausgeprägte Ablehnung der Völker gegen die USA massiv anheizen und damit potentiell eine Dynamik erzeugen, welche die Hegemonie der USA am Subkontinent grundsätzlich in Frage stellen könnte. Diese für die USA schlechten Bedingungen weisen darauf hin, dass eine unmittelbare und umfassende Intervention im derzeitigen Moment eher unwahrscheinlich ist.
Die Ereignisse der letzten Wochen deuten aber darauf hin, dass die Operation Südlicher Speer den Druck auf Venezuela maximal erhöhen soll („Destabilisierung“) und eine Drohgebärde für alle ‚unfolgsamen‘ Regierungen Lateinamerikas ist, um eine verstärkte Unterordnung unter us-amerikanische Interessen zu bewirken. Die Verlegung der Flugzeugträgerkampfgruppe „Gerald R. Ford“ mit mehr als 75 Militärflugzeugen und über 5.000 Soldaten, zusätzliche Bomber, Kriegsschiffe und mindestens ein Atom-U-Boot, sowie Militärgerät und Truppen für amphibische Angriffe (3) signalisieren eine deutliche Angriffsbereitschaft. Bisher wurden 20 Angriffe auf sogenannte „Drogenboote“ getätigt, mit mindestens 81 Opfern auf venezolanischer Seite. Zusätzlich schuf sich der US-Imperialismus nun die „legale“ Möglichkeit verdeckte Operationen in fremden Ländern durchzuführen, was ein wesentliches Element der derzeitigen Taktik zur Unterwanderung der venezolanischen Gesellschaft ist. Wenngleich eine unmittelbare Invasion wenig wahrscheinlich ist, ist stark davon auszugehen, dass die „maximale Erhöhung des Drucks“ bei einer gleichzeitigen geheimdienstlichen Unterwanderung Spielräume für eine Intervention eröffnen soll, welche die derzeitigen ungünstigen Bedingungen für die USA verbessern sollen.
Dass es bei der Operation ‚Südlicher Speer‘ nicht im Geringsten um Drogen geht liegt auf der Hand. Der US-amerikanische Staat macht sich nicht einmal die Mühe eine „nachvollziehbare“ Verbindung zwischen den zerstörten Schiffen und Drogenhändlern zu belegen. Gleichzeitig handelt es sich beim Großteil der konsumierten Drogen in den USA um Fetanyl, dessen Herstellung und Verarbeitung nichts mit Venezuela zu tun hat - ganz abgesehen davon, dass der Drogenhandel in den USA direkt und indirekt von Regierung und Staat selbst gefördert wird.
Von ‚Hungersanktionen‘ zur militärischen Konfrontation
Venezuela steht nicht erst seit Trump im Fadenkreuz des US-Imperialismus. Der ehemalige Präsident Obama unterzeichnete im März 2015 die „Executive Order 13692“, welche Venezuela zu einer „ungewöhnlichen und außerordentlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit und die Außenpolitik der Vereinigten Staaten“(4) erklärte. Diese ‚Executive Order‘ war einerseits Reaktion auf eine Limitierung des Einflusses und Spielraums der US-Monopole in Venezuela, welches es „wagte“ sich als Halbkolonie der USA breitere politische und wirtschaftliche Spielräume verschaffen zu wollen. Andererseits war diese Order auch die „legale“ Grundlage für ein weitreichendes Sanktionsprogramm(5), dessen Ziel darin bestand, durch wirtschaftlichen Druck auf die Bevölkerung die politische Krise im Land zu vertiefen, die Regierung zu isolieren und einen Putsch durchzuführen. Das Interesse des US-Imperialismus lag und liegt dabei vor allem im Erdöl und teilweise anderen Mineralien, sowie im Goldvorkommen des Landes. Venezuela hat die größten Ölreserven der Welt sowie die zweitgrößten Goldreserven, 20% des US-amerikanischen Erdöls wurde vor den Sanktionen in Venezuela gefördert. Das „Verbrechen“, das aus us-amerikanischer Sicht die Regierung Chávez sowie sein Nachfolger Nicolás Maduro begingen, war es die Ressourcen des Landes teilweise zu verstaatlichen und das US-Monopol im Land aufzuweichen, zugunsten dem Handel mit anderen Ländern, was sich vor allem der russische Imperialismus sowie das sozialimperialistische China zunutze machen konnten.
Der sogenannte „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ den Hugo Chávez ankündigte und Maduro in Worten verteidigt, hat nie an den wahren Wurzeln der Probleme des Landes gerüttelt. Nach wie vor ist die Wirtschaft Venezuelas de facto vollständig auf den Export von Erdöl angewiesen: 90 Prozent der im Land benötigten Güter müssen nach wie vor importiert werden. Die Konzentration des Grundbesitzes ist eine der höchsten in ganz Südamerika. Der halbkoloniale/halbfeudale Charakter des Landes ist die Ursache warum die Regierung – so radikal sie sich auch in Worten gibt – immer wieder Deals zur Erdölförderung mit den Imperialisten eingeht, zuletzt 2022 mit US-Präsident Joe Biden. Die neue Trump-Administration hat diesen Deal aufgekündigt und setzt nun zusätzlich zu Sanktionen verstärkt auf militärischen Druck.
Wenngleich nicht davon auszugehen ist, dass die venezolanische Regierung durch die aktuelle Drohkulisse unmittelbar kapitulieren wird, so wird der erzeugte Druck die Widersprüche innerhalb der Herrschenden Venezuelas vergrößern. Maduro erhofft sich Unterstützung durch Russland und China, deren direkte Involvierung aber mehr als unwahrscheinlich ist. Die konsequenteste Kraft gegen die drohende US-Intervention und die Verletzung der Souveränität ist das venezolanische Volk selbst.
Größter Feind der Völker: Die gemeinsamen Aufgaben gegen den US-Imperialismus
Nach dem zweiten Weltkrieg hat der US-Imperialismus die Rolle als Weltgendarm und Hauptfeind der Völker der Welt vom britischen und deutschen Imperialismus übernommen, die Liste seiner Verbrechen und Grausamkeiten in allen Teilen der Welt ist lange und hat sich tief ins Gedächtnis der Völker eingebrannt. Heute befindet sich der US-Imperialismus in einer seiner umfassendsten Krisen, weshalb auch seine Außenpolitik von einer zunehmenden Aggressivität gegenüber den strategischen Zielen geprägt ist.
Es liegt auf der Hand, dass die Drohkulisse in der Karibik nicht nur auf Venezuela abzielt. Unter dem Vorwand des „Narco-Terrorismus“ interveniert der US-Imperialismus schon seit mehr als einem Jahr vor allem in die mexikanische Politik, um eine massive Aufrüstung und Faschisierung des Landes voranzutreiben. Auch Kolumbien, Ecuador und Peru stehen auf der Tagesordnung, wenn es darum geht zunehmend eine Ausrichtung durchzusetzen, welche eine stärkere Unterwerfung unter den US-Imperialismus ermöglicht, die Verbindungen mit den russischen und chinesischen Konkurrenten limitiert, sowie die Bestrebungen nach Unabhängigkeit vom Imperialismus bekämpft. In einer jüngst veröffentlichten Erklärung der Volksbewegung Peru heißt es dazu: „Die sogenannte ‚Neue Verteidigungsstruktur der Westlichen Hemisphäre‘ und die militärische Aufrüstung des Yankee-Imperialismus hat zum Ziel seinen Status als einzige hegemoniale imperialistische Supermacht auf Weltebene zu verteidigen. Da Lateinamerika, als sein Hinterland, die strategische Basis für seine globale Hegemonie bildet, zielt der Yankee-Imperialismus, als sein großer Gendarm, direkt gegen die Entwicklung der neudemokratischen Revolution auf unserem Kontinent.“(6).
Es brauche eine Verteidigung des venezolanischen Volkes gegen die Drohgebärden und Interventionen von Seiten der USA - hier sind sich antiimperialistische und revolutionäre Kräfte des lateinamerikanischen Subkontinents einig. Dabei wäre es eine Gefahr, falsche Hoffnungen in die sich als „antiimperialistisch“ gebenden Regierungen der Länder Lateinamerikas zu haben, schreibt beispielsweise die brasilianische Zeitung „A Nova Democracia“. Mit ihren starken Verbindungen zum US-Imperialismus sei die Tendenz, dass diese „alle gezwungen sein [werden] die imperialistische Einmischung in Venezuela in der Praxis zu akzeptieren und ihre antiimperialistische Rhetorik zu stoppen“. Der Kampf um die Unabhängigkeit und Souveränität der unterdrückten Völker vom Imperialismus sei eine revolutionäre Aufgabe, welche seine Hauptbasis unter den Massen der Arbeiter und Bauern finden wird, unter proletarischer Führung. Wesentliche Bündniskräfte scheinen jedoch die derzeit ebenfalls unter Beschuss stehenden Nachbarländer Kolumbien und Mexiko zu sein, wo die antiimperialistischen Kräfte des Volkes ebenfalls gegen die verstärkte Aggressivität des US-Imperialismus kämpfen.
Die Herrschenden in Europa werden nicht müde eine drohende US-Intervention durch eine Dämonisierung der Regierung Maduro zu legitimieren. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die „Oppositionsführerin“ María Machado ist dabei ein klares Signal dafür, welchen „Frieden“ sich die Imperialisten in Venezuela erhoffen. Machado fordert seit mehr als zwei Jahrzehnten eine Militärintervention in Venezuela und lobt die US-Politik zur Unterstützung Israels beim Genozid in Gaza. Wirtschaftlich ist ihr großes Vorbild Margret Thatcher, eine Neoliberale aus dem Bilderbuch. Solidarität mit dem venezolanischen Volk bedeutet daher nicht nur die Unabhängigkeit und Souveränität des Landes gegen den US-Imperialismus zu verteidigen, sondern auch die Verwirrungsversuche und Lügen der europäischen Imperialisten zurückzuweisen.
Quellen:
(1) Nzz.ch
(2) Auch wenn es nicht mit dem ursprünglichen Inhalt der Moroe-Doktrin verglichen werden kann, ist es eine Renovation der Ausrichtung, fremden Einfluss auf das „eigene“ Einflussgebiet Mittel- und Südamerika zu verhindern. Heute wird dies vor allem in Richtung China und Russland ausgelegt.
(3) Zur amphibischen Kriegsführung gehören militärische Operationen im Küstenraum unter Beteiligung von Seestreitkräften und Marineinfanterie.
(4) Amerika21.de
(5) Zu den auswirkungsreichsten Sanktionen gehören: Finanzsanktionen 2017 gegen die staatliche Ölgesellschaft PDVSA, 2019 ein allgemeines Exportembargo sowie Sanktionen gegen das Goldminenunternehmen Minerven.
(6) Volksbewegung Peru (MPP), AGAINST THE MILITARY DEPLOYMENT OF YANKEE IMPERIALISM IN VENEZUELA







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