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Brasilien: Massaker in den Favelas als neuer Höhepunkt im Krieg gegen das Volk



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Am 28. Oktober verübte die brasilianische Militär- und Zivilpolizei das größte Massaker in der Geschichte von Rio de Janeiro. Unter dem Vorwand vom „Krieg gegen die Drogen“ und „Drogenterrorismus“ wurde ein grausames Exempel an der schwarzen und armen Bevölkerung in den Favelas statuiert. Dieses ist Teil eines permanenten Krieges gegen das Volk in Brasilien, sowie Sinnbild der tiefen Krise des bürokratischen Staatsapparates.

 


Größtes Massaker in der Geschichte der Stadt

 

Die sogenannte „Operation Eindämmung“, die durch die Elitekräfte ‚Spezialeinheit der Militärpolizei in Brasilien‘ (BOPE) geführt und direkt durch den Bürgermeister der Stadt, Cláudio Castro, befehligt wurde, umfasste ein Großaufgebot von ca 2.500 Polizeibeamten, 32 gepanzerten Fahrzeugen, Abrissfahrzeugen, Hubschraubern und Drohnen. Während für die Öffentlichkeit das Ziel zur Verhaftung von über 100 „Kriminellen“ der Organisation „Rotes Kommando“ (Comando Vermelho) ausgegeben wurde, zeigte die Durchführung und das Resultat der „Operation“ das eigentliche Vorhaben: Eine Blutspur mit mehr als 130 Toten, hunderten von Verletzten, zerstörten Häusern und Autos der Bewohner und überall verstreuten Leichenteilen. Viele der Leichen wiesen Folter- und Hinrichtungsspuren auf, darunter eine Vielzahl an Zivilisten, welche ohne Vorstrafen oder Gerichtsprozess dahingemetzelt wurden. Dass parallel zu diesem Blutbad „nur“ 74 Waffen und ca 200 kg Drogen gefunden wurden, belegt weiter die Kritik, dass es hier nicht um die wahren Drahtzieher der Kriminalität ging, die weit Abseits der Elendsviertel zu Hause sind.

 

Massaker an der armen und schwarzen Bevölkerung in den Elendsvierteln (Favelas) der Großstädte Brasiliens sind leider keine Seltenheit. Doch dieses sei „etwas Neues. Brutal und gewalttätig auf einem bisher unbekannten Niveau“ (1), wie es Zeugen und Anwohner aus den betroffenen Wohnvierteln Penha und Alemão in Rio de Janeiro beschrieben. Während der Bürgermeister der Stadt die „Operation“ als großen Erfolg wertet, eingebaut in eine zynische Wahlkampfkampagne zum „Erhalt der öffentlichen Sicherheit“, protestieren und kämpfen die Anwohner und verschiedene fortschrittliche Organisationen des Volkes für die Aufklärung des Massakers und die Bestrafung der Verantwortlichen.

 


‚Krieg gegen die Drogen‘ ist Krieg gegen das Volk

 

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Operationen (besser gesagt: Kriegseinsätze) wie diese in Rio de Janeiro, nicht das vorrangige Ziel verfolgen die Kriminalität einzudämmen oder gar zu beseitigen. Die stetige Militarisierung des Landes, die Erhöhung der Polizeikräfte sowie neue Gesetze gegen Kriminalität, Banden und Terrorismus, haben in den letzten Jahrzehnten nicht zur Eindämmung der Kriminalität beigetragen. Im Gegenteil sind die Resultate verheerend: Die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen und gewaltsamen Todesfälle hat zugenommen, parallel mit einem Anstieg der Polizeigewalt (6.243 Todesfälle im Jahr 2024). In Rio de Janeiro hat sich die Tötungsrate durch die Polizei in den letzten zehn Jahren verdreifacht.

 

Während der Drogen- und Waffenhandel größtenteils direkt durch die herrschenden Kreise des Landes kontrolliert wird, werde gegen die Bevölkerung ein permanenter „Krieg niedriger Intensität“ geführt, ist die Einschätzung aus einer gemeinsamen Erklärung (2) dreier fortschrittlichen Jugendorganisationen zum Massaker vom 28. Oktober. Der sogenannte „Krieg gegen den Drogenhandel” sei eine ‚Schockpolitik‘, um die Revolte der Jugendlichen einzudämmen, die mit der Armut wächst: „Was passiert, ist, dass die Jugendlichen aus den Favelas, insbesondere die ärmsten und unterdrücktesten Schichten, die ständig vom Kriegszustand betroffen sind, der durch die brutale Repression unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Drogenhandel” herrscht, schließlich die Reihen dieser Gruppen verstärken, zum einen, weil die Jugendlichen aus den ärmsten Bevölkerungsschichten in ihnen einen bewaffneten Widerstand gegen die Unterdrückung sehen, die sie durch die Polizeikräfte und die ihrer Meinung nach herrschende politische Macht erfahren, und zum anderen, weil sie von der Illusion angezogen werden, dass sie durch Kriminalität individuell aufsteigen können, anstatt gegen das System und für die Revolution zu kämpfen, was schwieriger ist und eine revolutionäre Organisation erfordert.“ Während die Lebensbedingungen in den Favelas durch die herrschende Elite des Landes unangetastet bleiben, befürworten alle parlamentarischen Fraktionen des Landes die Ausdehnung der Militarisierung und Faschisierung des Landes.

 


‚Wahlkampfmassaker‘: Widersprüche innerhalb der Großbourgeoisie des Landes

 

Die besondere Grausamkeit und Brutalität des Massakers ist ebenfalls unter dem Aspekt des verstärkten Disputs der verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klassen in Brasilien zu erklären. Die liberale Oppositionspartei „Liberale Partei“ (PL) des ehemaligen Präsidenten Bolsonaro versucht sich mit Instrumenten des Massakers als „Wahrer der öffentlichen Ordnung“ zu präsentieren und feiert die Massenhinrichtungen vom 28. Oktober als „großen Erfolg“, bei dem angeblich „kein einziger Unschuldiger“ unter den Ermordeten zu finden sei, „außer den vier Polizeikräften“.  Gleichzeitig vergießen die Vertreter der „Arbeiterpartei“ (PT) Krokodilstränen und präsentieren ihr eigenes Konzept zur „Bekämpfung der Kriminalität“. Die regierende Arbeiterpartei von Präsidenten Lula, unter deren Regentschaft die Polizeigewalt eine neue traurige Spitze erreichte, sieht in dem Massaker lediglich den Versuch die „wachsende Popularität von Luiz Inácio [den Chef der Gewerkschaften]” zu untergraben. Ein zynisches Wahlkampfspektakel auf dem Rücken der Opfer von Staats- und Polizeigewalt.

 

Die wachsenden Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klassen Brasiliens, welche auch militärisch ausgetragen werden, finden laut der Kommunistischen Partei Brasiliens (KPB) ihre Ursache in den Widersprüchen der Großbourgeoisie des Landes, die vor allem dadurch geprägt ist, dass sie den ausländischen Monopolen, vor allem dem US-Imperialismus unterworfen ist. In ihrer Analyse zum Charakter der Großbourgeoisie in unterdrückten Länder wie Brasilien, wird die Spaltung dieser in zwei Fraktionen als ein bestimmendes Element definiert: „Die Kompradorenbourgeoisie und die bürokratische Bourgeoisie: Die erste ist älter und fungiert als Vermittler in den Export-Import-Prozessen. Sie entwickelt sich hauptsächlich im Bank- und Handelssektor und drückt sich als Privatkapital aus. Die bürokratische Fraktion entsteht, wenn das Monopolkapital mit dem Staat verschmilzt, dessen wichtigster Hebel sie ist, und konzentriert sich hauptsächlich auf die Industriesektoren. Diese Unterscheidung ist entscheidend, weil sie das Proletariat gegen die Sirenengesänge der opportunistischen „Fronten” wappnet, die dafür eintreten, im Schlepptau der einen oder anderen Fraktion der Großbourgeoisie in ihrem Kampf und ihrer geheimen Absprachen um die Verwaltung des alten Staates zu bleiben.“ (3)

 

Vor diesem Hintergrund muss auch der vorgebliche “Kampf gegen die Drogen” und der “Kampf gegen die Kriminalität und Banden” gesehen werden, wo beide Fraktionen der brasilianischen Herrschenden darum kämpfen sich als bessere „Verwalter“ des Landes zu Gunsten ausländischer Investoren, Großgrundbesitzer und Monopolkonzernen zu präsentieren. Nicht zufällig decken sich auch rhetorisch die innenpolitischen Ziele des „Kriegs gegen die Drogen“ und den „Drogenterrorismus [Narcoterrorismus]“ mit den außenpolitischen Zielen des US-Imperialismus in der Region. Die demokratische und revolutionäre brasilianische Zeitung A Nova Democracia (AND) geht hier von einem „Diktat des amerikanischen Imperialismus“ aus, „zur Militarisierung des Subkontinents und der Rechtfertigung der Ermordung der Armen“ (4).

 


Selbstverteidigung des Volkes ist legitim

 

Schon in den Tagen nach dem Massaker kam es nicht nur zu lokalen Protesten der Anwohner und verschiedener Volksorganisationen, sondern auch zu Protesten in verschiedenen Teilen des Landes. Neben der Forderung nach einer Aufklärung des Massakers und der Bestrafung der Täter, wird der gesamte Krieg gegen die armen Teile der Bevölkerung – in Land und Stadt - angeprangert und verurteilt. Die fortgeschrittensten Kräfte der Proteste, die revolutionären und demokratischen Organisationen, betonen dabei die Legitimität der Selbstverteidigung des Volkes, um sich vor den Unterdrückungsapparaten des Staates zu schützen. Konsequent ließen sich die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten andauernde Unterdrückung und Ausbeutung des Volkes jedoch nur auf einem revolutionären Weg beseitigen: „Nur wenn wir den Weg der Neudemokratischen Revolution beschreiten – deren erste Phase die Agrarrevolution ist –, nach einem langen und harten Kampf, indem wir unsere Feinde einen nach dem anderen besiegen, Schwierigkeiten überwinden und große Siege erringen, werden endlich alle Ungerechtigkeiten und Unglücksfälle, die unser Volk und unser Land heimsuchen, ein Ende haben.“ (5)

 

Quellen:

(1) Tagesschau.de

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