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Katharina J.

Tirol-Wahl: Herbe Niederlage der Herrschenden.


Mit einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent konnten zwar insgesamt mehr Nichtwähler für die Wahl mobilisiert werden, jedoch nur in geringem Ausmaß. Die stärkste Partei bleibt die der Nichtwähler. Hauptsächlich zeigt die Landtagswahl in Tirol eine Niederlange der Regierungsparteien und eine starke Ablehnung des politischen Kurses der Herrschenden.



Große Verluste der ÖVP sind kein „kleiner Rückschritt“


Die ÖVP wurde als führende Kraft in der Regierung gehörig abgestraft und erzielte mit 34,7 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in Tirol. Sie verlor knapp 10 Prozent der Stimmen gegenüber der Landtagswahl 2018. Das bestätigt auch die enorme politische Krise in der sich die Herrschenden im Land Tirol befinden. Obwohl die ÖVP im Vergleich zu den anderen Parteien mit 34,7 Prozent noch immer klar Platz eins hält, ist es doch ein gehöriges Warnsignal an die herrschenden Klassen, denn Tirol ist ein wichtiges Kernland der ÖVP (so wie Wien für die SPÖ). Dass die ÖVP sich nach der Wahl nicht als „großer Verlierer“ hinstellte, hat nichts mit der Realität zu tun. Hinter den Kulissen wissen die Vertreter des Kapitals sehr wohl, dass sie in Zeiten des Umbruchs und der Veränderung angekommen sind. Hierbei muss auch beachtet werden, dass Wahlumfragen im Vorfeld bewusst so veröffentlicht wurden, dass sie einen noch viel größeren Verlust für die ÖVP prognostizierten und somit ehemalige ÖVP-Wähler aus den Nichtwählern mobilisieren konnte. Dass noch immer so viele die ÖVP wählen, welche neben der SPÖ hauptsächlich die Interessen der führenden Fraktionen des Kapitals repräsentiert, ist in Zeiten wie diesen aussagekräftig. Es hat aber weniger mit dem vom Satireportal „DieTagespresse“ zwar gut gewählten Titel „ÖVP immer noch auf Platz 1: Stockholm Syndrom heißt jetzt Innsbruck Syndrom“ zu tun. Es ist ein Resultat der wirtschaftlichen Verflechtungen dieser Partei im Bundesland: alle wichtigen Wirtschaftsvertreter sind auf die eine oder andere Weise mit dieser Partei verbunden, ist doch die parlamentarische Politik hauptsächlich ausführender Ausschuss des Finanzkapitals. Für die Arbeiterklasse und die unterdrückten Teile der Bevölkerung ist dieser Abstieg der ÖVP gut, denn es zeigt, dass immer mehr den Kurs des Demokratie- und Sozialabbaus ablehnen.



Nichtwähler die „stärkste Partei“


Obwohl die Wahlbeteiligung einen geringen Aufschwung erfuhr (von 60 Prozent 2018 auf nun 65 Prozent), ist die Tendenz innerhalb der Bevölkerung doch klar: mit 192.000 Wahlberechtigten die nicht zur Wahl gingen, sind es trotzdem noch um 73.000 mehr, als die erstplatzierte Partei an Stimmen bekam (die ÖVP bekam 119.000 Stimmen). Diese „stärkste Partei“ zeigt, dass die Tendenz in der Bevölkerung ist, nicht auf die Wahlen als Spektakel der Herrschenden zu vertrauen. Der Wahlboykott ist eine spontane Reaktion der Massen, eine Ablehnung der Politik die gegen die Interessen des Volkes gerichtet ist. Beim Wahlergebnis zeigt sich jedoch auch, dass bei der Wahl 2018 noch um 23.000 Leute mehr die Wahl boykottierten. Dieser Wahlboykott, also die Nichtwähler, sind keine feste und homogene Gruppe, sondern eine spontane Reaktion auf die arbeiter- und volksfeindliche Politik, auf die massiven Verschlechterungen und den antidemokratischen und antisozialen Kurs, der sich immer weiter verschärft. Aber gerade weil es eine spontane Reaktion ist, kann dieser Wahlboykott auch schnell von den Herrschenden umgedreht werden, vor allem durch „Protestparteien“, die sich als Kritiker „des Systems“, oder der „Eliten“ geben. Ein passiver Boykott der Wahl bringt jedoch von sich aus noch keine Perspektive oder Veränderung hervor, weshalb von zahlreichen revolutionären und fortschrittlichen Organisationen und Gruppen der aktive Wahlboykott verbreitet wird. So wie beispielsweise von der „Aktion für demokratische Rechte des Volkes“ (ADRV), die sich mit einem Flugblatt im Bundesland Tirol gegen die Verschlechterungen für die Bevölkerung stellt und zum aktiven Wahlboykott aufgerufen hat: „Statt Wahl-Heuchelei sagen wir, dass wir unsere demokratischen und sozialen Rechte verteidigen müssen, dass wir uns wehren müssen, dass wir uns zusammenschließen müssen und darum kämpfen werden!“ (siehe Website der ADRV).


Auch zahlreiche internationale Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass es durch Kampagnen für den aktiven Wahlboykott, durch die Organisierung der Unterdrückten und Ausgebeuteten geschafft wurde, wirkliche Perspektiven zu geben und damit auch den passiven Wahlboykott der Nichtwähler in einen aktiven Kampf um demokratische und soziale Rechte, sowie gegen das kapitalistische System umzuwandeln.



„Protestparteien“ als Systemretter?


Wesentlich verantwortlich dafür, dass nicht noch mehr ins Nichtwähler-Lager übergingen, waren die sogenannten „Protestparteien“, die viel vom Zorn der Bevölkerung auffangen konnten. Bemerkenswert dabei ist, dass die Kleinparteien sich im wesentlichen von abfallenden Wählern der Großparteien nährten, während die FPÖ es als einzige „Protestpartei" relativ konsequent schaffte aus dem Lager der Nichtwähler zu fischen (insgesamt 15.000 Stimmen von Nichtwählern). Offenbar wirkt die parlamentarische Illusion selbst dann noch, wenn sich Protestparteien als „Kritiker der Mächtigen“ inszenieren. Die FPÖ erlangte mit knapp 19 Prozent das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte in Tirol und wurde erstmalig zweitstärkste Partei hinter der ÖVP. Das liegt einerseits daran, dass sie keine Regierungspartei ist und sich daher als „kritische Opposition“ darstellen kann, andererseits jedoch auch an der heftigen Krise der Regierung (Schwarz-Grün). Obwohl die FPÖ bei all ihren Regierungsbeteiligungen zeigte, dass sie keinen wesentlich anderen Kurs fährt als die anderen Parlamentsparteien, ist die Hoffnung und das Vertrauen in eine „Veränderung über den Weg des Parlamentarismus“ doch noch relativ hoch, was unter anderem an der noch geringen Stärke einer eigenständigen Arbeiter- und Volksbewegung liegt.


Die Liste FRITZ konnte sich fast verdoppeln und überholte mit knapp zehn Prozent die Grünen, die somit auf Platz fünf landeten. Der Kurs diverser „Protestparteien" ist kein anderer als jener der Systemparteien, sondern diese sehen ihre Aufgabe in der „Kontrolle“ und „Einhegung“ der etablierten Parteien, nicht in einer anderen Politik als die der herrschenden Kapitalfraktionen. So warb die Liste FRITZ mit Slogans wie „Politische Kontrolle durch eine starke Opposition“ und „der Tiroler Landesregierung den Spiegel vorhalten“ und kritisierte die Herrschenden in der Teuerungsfrage beispielsweise nur dafür, dass sie nicht noch mehr Zuschüsse für Energie- und Heizkosten leisten. Auch die Liste FRITZ forderten beispielsweise keine Lohnerhöhung über der Inflationsrate. Darüber hinaus sehen sie den Weg aus der „Energiekrise“ auch wesentlich im individuellen Verhalten der Menschen und fordern den Ausbau einer „persönlichen Energie- und Budgetberatung für Tiroler“.


In ein ähnliches Horn blies die Tiroler KPÖ, welche mit dem Slogan „Eine Stimme für uns ist ein Denkzettel für die Regierung“ eine Absage an ein eigenes Programm formulierte und sich der „Einhegung“ der Mächtigen anschloss. Es ist bemerkenswert, dass eine Partei wie die KPÖ gerade in einer Situation mit explodierenden Preisen den Protest überhaupt nicht für sich nutzen kann. So hatte zwar die KPÖ bei der diesjährigen Wahl etwas mehr an Stimmen zu verzeichnen als 2013 (von 0,53 Prozent auf 0,67), gegenüber der Landtagswahl 2008 (wo sie noch bei 1,16 Prozent lagen) ist es dennoch eine klare Richtung nach unten.


Die MFG hat mit rund 2,8 Prozent schon den Anfang vom Ende eingeläutet. Es zeigt sich, dass es in der Bevölkerung kein Vertrauen darauf gibt, dass diese Partei wesentliche Fragen lösen könnte (außerhalb formal juristischer Maßnahmen gegen Corona-Verordnungen). Den Anfang vom Ende unterstrich nun auch der Parteiaustritt des MFG-Bundesgeschäftsführers und Chefs der Landesgruppe Salzburg Gerhard Pöttler, dessen Austrittserklärung Bände spricht: „Ich bin zur Auffassung gekommen, dass die handelnden Personen bei uns zum Teil nicht mehr in die Praxis umsetzen, was wir unseren Unterstützern versprochen haben. Da kann und will ich nicht mehr mitmachen.“ Er meinte weiter, dass sich die MFG schon an das herrschende System angebiedert hätte. Abgesehen davon, dass die MFG nie wirklich ein prinzipiell anderes System im Auge hatte, zeigt diese Erklärung doch auch, wie rasch neue Gruppierungen in das System eingegliedert werden.



SPÖ und Grüne als große Verlierer neben der ÖVP


Wie zu erwarten, verloren auch die Grünen viele ehemalige Wählerstimmen und landeten mit rund 9,2 Prozent auf dem fünften Platz. Das ist deshalb keine Überraschung, da die Grünen sowohl in der Bundesregierung, als auch der Landesregierung demonstrierten, dass sie für den Kurs der Herrschenden stehen. Insbesondere haben sie alle antidemokratischen und antisozialen Corona-Maßnahmen mitentschieden und mitgetragen, womit viele ehemalige Grünwähler das Vertrauen in die Partei verloren. Offensichtlich wurde, dass mit den Grünen auch keine Politik gegen Umweltzerstörung durchgesetzt wird, da „Grün“ vor allem ein Mobilisierungsversuch für den Umbau der Energiewirtschaft im Interesse der Kapitalisten ist. Umwelt- und Naturschutz ist nicht „unabhängig“ von gesellschaftlichen Fragen und damit auch kein „neutraler“ Boden, auf dem es keine Klasseninteressen gäbe. Im Gegenteil, die Grünen haben vor allem in Tirol gezeigt, dass auch mit ihnen Seilbahnunternehmen und Tourismusimperien an erster Stelle stehen. Der Erhalt der Gletscher und der Schutz der Umwelt muss durch die Bevölkerung gegen die Kapitalinteressen erkämpft werden.


Die Sozialdemokratie stagnierte mit 17,5 Prozent und landete auf Platz drei, was die tiefe Krise bestätigt in der sich die SPÖ befindet. Es zeigte sich auch, dass sie immer weiter die Hegemonie in ihren „Kernschichten“ und „Kernthemen“ verliert, da sie trotz Teuerungen und enormen Lohnverlusten der Arbeiter und Angestellten es nicht schaffte, sich als Kraft für die Vertretung der „Arbeitnehmer“ zu präsentieren. Diese Tendenz ist gut, muss aber darin kanalisiert werden, dass sich die Arbeiter und Angestellten als eigenständige Kraft organisieren, gegen Lohnverlust und für einen Erhalt und Ausbau der Arbeitsrechte kämpfen.


Zusammengefasst war die Landtagswahl eine Niederlage der Herrschenden, jedoch war sie auch kein Sieg für die Arbeiter und Kräfte des Volkes, da vor allem die Nichtwähler hauptsächlich noch eine passive Haltung gegen den Parlamentarismus der Herrschenden zeigen. Vor allem in Anbetracht der kommenden Bundespräsidentenwahl ist deshalb die Verbreitung des aktiven Wahlboykotts, die Förderung des revolutionären und demokratischen Zusammenschlusses der Unterdrückten und Ausgebeuteten von vorrangiger Bedeutung. Dann können die Niederlagen der Herrschenden auch für Fortschritte und Siege der Arbeiter- und Volksbewegung genutzt werden!






Bildquelle: Landtagswahlkarte Tirol 2022 - User:Furfur - commons.wikimedia.org


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