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SPÖ Mitgliederbefragung: Mittel gegen die Krise der Sozialdemokratie?


Der Trend der letzten Jahrzehnte in der Sozialdemokratie war Erosion und Krise. Durch die Mitgliederbefragung um den neuen Parteivorsitz soll dieser Krise begegnet werden. Die Gegenkandidaten zu Rendi-Wagner beschwören eine „wirkliche Sozialdemokratie“ und Veränderung. Was steckt dahinter und kann ein neuer Vorsitz die Krise der Partei in Prosperität und Aufschwung umwandeln?


Mehr als 10.000 neue (und ehemalige) Mitglieder traten im Zuge der Befragung zum Parteivorsitz der SPÖ bei. Das ist ein Ereignis das tatsächlich aufhorchen lässt und gegen den Trend der letzten Jahrzehnte hervorsticht. Denn dieser Trend war ein stetiger Mitgliederverlust: von einer „Massenpartei“ die einen beträchtlichen Teil der Arbeiterklasse in sich vereinte, zu einer 20 Prozent Partei, deren Basis sich von den Massen der Arbeiter zu Schichten des sogenannten „Mittelstands“ verschoben hat. Das ist auch kein Wunder, denn keine andere Partei hat in der Zweiten Republik so viele Jahre in Regierungen verbracht wie die SPÖ und rund die Hälfte der bisherigen Bundeskanzler seit 1945 gestellt. Sie steht damit ebenso für dieses System des Demokratie- und Sozialabbaus, der Freunderlwirtschaft und der Politik für „die da oben“ wie die ÖVP. Eine Politik die sich an den Bedürfnissen und Interessen des Kapitals, der Banken, Monopolkonzerne und Staatsinstitutionen orientiert, führte zu einem enormen Misstrauen der Massen, was sich auch in der Mitgliederstatistik zeigt. 1970 verfügte die SPÖ im gesamten Bundesgebiet noch über 720.000 Mitglieder. 20 Jahre später, 1990, waren es nur noch 620.000. Der größte Einbruch ihres Einflusses und damit stärkster Ausdruck ihrer Erosion setzte im Verlauf der 1990er Jahre ein und vertiefte sich mit der Jahrtausendwende. 2017 waren nur mehr 180.000 Mitglieder zu verzeichnen, was einen Mitgliederrückgang von 440.000 Personen innerhalb von 27 Jahren entspricht! Der Trend ging weiter bis 2023 und nun erlebt diese Partei das erste Mal einen kleinen Sprung ausgehend vom niedrigen Mitgliederniveau: Statt rund 138.000 Mitgliedern sind durch die neuen Beitritte 148.000 zur Befragung aufgerufen. Natürlich ist eine Welle an Eintritten eine Seltenheit in den letzten Jahrzehnten, jetzt jedoch auf so niedrigem Niveau schon zu „jubeln“ verzerrt die Realität. Ähnlich wie in der SPÖ zeigt sich auch der Mitgliederverlust des ÖGB, der zwar nicht offiziell Teil der Partei ist, jedoch in der Verteilung von Einfluss und Ämtern durchaus so gehandhabt wird. Vom höchsten Stand an Mitgliedern, das war 1981 mit 1,67 Millionen, sanken die Zahlen bis 2014 auf einen Tiefstand mit 1,2 Millionen, der bis heute anhält. Wenngleich sich die Krise der Sozialdemokratie in der Gewerkschaft nicht so dramatisch ausdrückt, ist es doch eine ähnliche Tendenz. Lag die Organisierungsdichte des ÖGB 1981 noch bei 60 Prozent aller Beschäftigen, war sie 2018 bei nur mehr 32 Prozent angelangt (während dieser Zeit stieg die Zahl der Beschäftigten insgesamt stark an). Dieser Rückgang hat weniger mit einem Desinteresse der Arbeiter und Angestellten an gewerkschaftlichen Forderungen zu tun, als mit einem enormen Vertrauensverlust in die Gewerkschafts- und SPÖ-Führung.


Fassen wir diese nun genannte Entwicklung zusammen, zeigt sich, dass es reine Schaumschlägerei ist, wenn der Abwärtstrend der Sozialdemokratie mit parteiinternem Hick-Hack erklärt wird. Im Gegenteil, die sogenannten „Streitereien“ über die „Ausrichtung der Sozialdemokratie“ sind einerseits Ausdruck der Krise dieser Partei selbst, andererseits soll die Debatte nun genutzt werden, um die Parteibasis zu mobilisieren und die Sozialdemokratie wieder zu stärken. Auch wäre es falsch den Behauptungen zu glauben, dass der Niedergang der SPÖ nur an der Person Rendi-Wagners liegt, denn sie ist schon der matte Ausdruck der Verschiebung von einer Arbeiterbasis zu einer Partei mit „Mittelstands“-Basis. Nun bleibt die Frage, ob das Ergebnis der Mitgliederbefragung und ein Wechsel des Parteivorsitzes tatsächlich grundlegende Änderungen bringen und auf was sich die Arbeiter- und Volksbewegung in dieser Hinsicht einstellen kann.


Sehen wir uns die Gegenkandidaten zu Pamela Rendi-Wagner an, so verkörpern sie den Versuch der Sozialdemokratie aus der Erosion und Krise herauszukommen. Und wie nicht unüblich in der Geschichte der Partei, geht das mit „linkem“, bzw. „marxistischem“ Anstrich einher. Erinnern wir uns an Repräsentanten wie Otto Bauer, oder Friedrich Adler, die Begründer des „Austromarxismus“! Der sogenannte „Austromarxismus“, der vor allem im Kampf gegen den Kommunismus hervorgebracht wurde, sollte der Sozialdemokratie zur Besänftigung der Massen und zur Abkehr vom revolutionären Drängen nach gesellschaftlicher Umwälzung dienen. Sozusagen ein „Marxismus“ in Worten und bürgerliche, kapitalistische Politik in der Tat. Darum ist es auch kein Zufall, wenn Kandidat Andreas Babler, der Bürgermeister von Traiskirchen, im ORFIII-Interview wieder vom Marxismus spricht, der eine „gute Brille“ sei, „um auf die Welt zu schauen“. Auf Anfrage des „Profil“ äußerte er: „Die Idee einer Gesellschaft, in der Klassengegensätze überwunden, alle Lebensbereiche demokratisch gestaltet und der Ertrag der Arbeit gerecht verteilt ist, findet sich in allen Parteiprogrammen der Sozialdemokratie seit 1889, so auch im aktuellen Parteiprogramm von 2018.“ (1). Auch Doskozil macht, wenn auch nicht ganz so direkt, Anspielungen auf die marxistische Tradition. So waren fixe Stationen seiner „Freundschafts-Tour“ im Zuge der Wahlwerbung für die Mitgliederbefragung die geschichtsträchtigen Ortschaften Neudörfl und Hainfeld. In Neudörfl wurde vor 149 Jahren, am 5. April 1874, der Gründungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie abgehalten. In Hainfeld wurde im Jahr 1889 der „Einigungsparteitag“, der sogenannte „Hainfelder Parteitag“, abgehalten, der die eigentliche Geburtsstunde der Partei markiert. Wir sehen, auch Doskozil betreibt Folklore mit den marxistischen Teilen der Geschichte der Partei – die jedoch schon sehr lange her sind. Das Rezept gegen die Krise ist also ein teilweises Aufwärmen der „austromarxistischen“ Phrasenpolitik in der Partei. Das ist ein Trend der nicht übersehen oder gar gering geschätzt werden sollte, war doch die Politik des „Austromarxismus“ ein schwerer Ballast der auf der Arbeiterbewegung lastete und dessen Überwindung die Voraussetzung für Erfolge und den Aufschwung der revolutionären Arbeiterbewegung in Österreich war. Ein dialektisches Phänomen: Je mehr innerhalb der Sozialdemokratie von „Marxismus“ und „Überwindung der Klassengegensätze“ schwadroniert wird, desto härter muss die Arbeiterbewegung um die Entlarvung und Überwindung dieser pseudomarxistischen Demagogie kämpfen. Kapitalistische Politik, die sich im „roten Mantel“ kleidet, die so tut als wäre sie keine Politik im Interesse das Kapitals, war und ist ein Instrument des Betruges an den gerechtfertigten Forderungen der Arbeiter und Massen. Geschichte wiederholt sich nicht gleich, sondern auf neuer und höherer Stufe. Deshalb sollten wir heute schon von den Erfahrungen der Arbeiterbewegung ausgehen und von ihnen lernen.


Dass es im ganzen Ausrichtungsprozess der Sozialdemokratie darum ginge, wieder eine „wirkliche Politik für die Menschen“ zu machen, ist Unfug und natürlich dem Ziel der Werbung um die Mitglieder geschuldet. Sieht man sich die Praxis der Parlamentsparteien und deren Verstrickungen mit Banken und Industrie an, so glauben wohl nur wenige, dass parlamentarische Entscheidungen zum „Wohl der Menschen“ getroffen werden. Beispielsweise kritisieren auch die „oppositionellen“ Kandidaten Doskozil und Babler nicht die Politik der sozialdemokratischen Führung des ÖGB, die schlechten KV-Abschlüsse, den Verrat an der Arbeiterklasse. Wer von ihnen hat dazu Stellung bezogen, dass nun KV-Abschlüsse (wie beispielsweise bei der Österreichischen Post AG) erst für Jänner 2024 gelten? Wer hat Stellung bezogen und massive Kritik an der Gewerkschaftsführung geübt, als die Arbeiter von ATB in der Steiermark oder MAN in Steyr vor dem Aus standen? Keiner! Auch die Unterstützerliste der Kandidaten ist aufschlussreich. So zählt beispielsweise der ehemalige Bundeskanzler Christian Kern zu den prominentesten Unterstützern Doskozils. Wenn wir uns erinnern war es gerade Kern, der als erstes (!) den Vorschlag zum 12-Stunden-Arbeitstag, der später durch die Regierung durchgeboxt wurde, machte. Zu Bablers Unterstützern zählen beispielsweise ehemalige SPÖ-Topdiplomaten wie Wolfgang Petritsch (2), der damals den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien legitimierte. Nicht ohne Grund, denn davon hatte er dann auch persönlich etwas: Petritsch war früherer EU-Chefverhandler und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Dieser „Hohe Repräsentant“ wurde nach der Zerschlagung Jugoslawiens eingeführt und steht in seinen Befugnissen sowohl über dem Präsident, als auch der Regierung Bosniens. Es ist also eine Funktion innerhalb einer imperialistischen Kolonialverwaltung, wenn ein von Außen eingesetzter Funktionär mehr Macht hat, als jede bosnische Instanz. Ist das die „aktive Neutralität“ wie es sich Babler vorstellt? Ist die Einmischung in und Kontrolle der Balkanländer ein Zeichen für die „starke EU“, so wie es sich Babler wünscht? Erinnern wir uns an den „Austromarxismus“: Marxismus in Worten, kapitalistische Politik in der Tat! Über die Unterstützer Rendi-Wagners muss man sich hier nicht genauer äußern, denn alleine all jene „Altkanzler“ als Unterstützer anzuführen, die genau für den systemtragenden und arbeiterfeindlichen Kurs der Sozialdemokratie verhasst sind und die Erosion des Einflusses der Sozialdemokratie repräsentieren, wird wohl keine überzeugende Tatsache für einen Großteil der Mitglieder sein.


Insgesamt ist tendenziell eher davon auszugehen, dass Rendi-Wagner die Befragung nicht für sich entscheiden wird, da die Unzufriedenheit über den derzeitigen „Output“ zu hoch ist, sowohl innerhalb der Landesparteien (mit Ausnahme der SPÖ Wien), als auch innerhalb der SP-Wähler die sich in großen Schritten von der Partei abkehren. Würde sie dennoch gewinnen, hieße das eine rasante Fortsetzung des Einflussverlustes, der Mitgliederaustritte usw… Für Doskozil stehen die Zeichen gut diese Befragung zu gewinnen, denn er vereint den Großteil der Landesparteien hinter sich. Mit Doskozil wäre auch die Wahrscheinlichkeit größer höhere Wahlergebnisse zu erzielen. Jedoch werden weder Doskozil noch Babler die Krise des Sozialdemokratismus, den Verlust ihres Einflusses innerhalb der Arbeiterklasse beenden können, dazu ist die Partei schon viel zu sehr Teil der herrschenden Klasse, verschmolzen mit Industrie, Banken und Staatsapparat. Es wird aber wahrscheinlich sein, dass die Sozialdemokratie mit Doskozil oder Babler an der Spitze wieder stärker auf die Frage des Sozialstaates konzentriert und die eine oder andere Verbesserung durchsetzt. Davon darf sich aber weder die Arbeiter- noch die Volksbewegung verwirren lassen, denn diese kleinen Verbesserungen werden nur ein Zugeständnis sein, um den Status quo aufrecht zu erhalten, um grundlegende Veränderungen zu verhindern. So war es 1918 in der Rätebewegung, so war es nach dem Zweiten Weltkrieg und so wird es auch heute wieder sein. Der Unterschied ist aber, dass wir heute diese Erfahrungen haben und die Aufgabe ist, davon zu lernen!



(1) profil.at: Streit um SPÖ-Vorsitz: Andis sozialistische Welt

(2) derstandard.at: Sozialdemokratische Ex-Diplomaten fühlen sich von Andreas Babler vereinnahmt




Bildquelle: SPÖ Bundesparteitag, SPÖ Presse und Kommunikation, Wikimedia Commons CC BY-SA 2.0

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