Für Joe Biden, den obersten Häuptling des USA-Imperialismus war es sonnenklar, dass man vom plötzlichen Tod des Wagner-Chefs Prigoschin nicht „überrascht sein“ sollte. Die Monopolmedien des sogenannten „Westens“ stimmten da auch gleich überein und schon war es ausgemacht was es mit dem Flugzeugabsturz auf sich habe…
Da Prigoschin laufend die russische Militärführung für ihre, in seinen Augen ineffiziente und zu wenig durchschlagskräftige, Vorgehensweise in der Ukraine kritisierte, sahen viele Kommentatoren schon recht bald das Ende Prigoschins gekommen. Mit dem angeblichen „Putsch“ im August hätte er endgültig sein Todesurteil unterzeichnet – so die Stimmen aus der Konsensfabrik. In einem gewissen Sinne mag in „Analysen“ dieser Art auch ein Körnchen Wahrheit stecken, doch die Widersprüche innerhalb des russischen Imperialismus werden damit insgesamt eher verdunkelt als erhellt. Und auch die Causa Prigoschin gerät so, im Rauschen des bürgerlichen Blätterwaldes, zu einem „Kampf im Palast“ zwischen den beiden „Alphamännchen“ Putin und Prigoschin. Individualpsychologie statt Politik also.
Der „Marsch auf Moskau“.
Im Juni dieses Jahres währte die Freude im „Westen“ nur kurz: ein Putsch gegen Putin? Das wäre fein! Doch durch den Wagner-Chef persönlich angeführt, das wäre keine Alternative für die USA und die imperialistischen Kräfte in der EU. Man verlegte sich also darauf, davon zu erzählen, dass „Putin die Lage nicht mehr im Griff“ habe. In Wirklichkeit hat man es hier natürlich mit einer Art von „Putschlegende“ zu tun, mit der im sogenannten Westen versucht wurde, die Propaganda gegen den Konkurrenten und Gegner Russland weiterzutreiben, ein bisschen Durchhaltestimmung im Kampf gegen den russischen Imperialismus zu verbreiten. Der Marsch mehrerer tausend Wagner-Söldner auf Moskau war dabei alles andere als ein Putsch, was bei genauer Betrachtung der Tatsachen auch nicht besonders kompliziert zu verstehen ist. Die Wagner-Truppen nahmen in ihrem „Marsch auf Moskau“ keinerlei militärische Bewegungsform an, sondern sie bewegten sich im wesentlichen auf großen, gut kontrollierten und überwachten Verkehrswegen im Konvoi. Darüberhinaus bewegten sie sich nur in eine Richtung, bildeten also ein relativ leicht zu konzentrierendes Ziel. Eine militärische Konfrontation wäre unter diesen Bedingungen mit höchster Wahrscheinlichkeit zu ihren Ungunsten ausgegangen – und das von einer aus dem Krieg kommenden, kampferprobten Truppe. Weiter wäre die Einnahme Moskaus eine andere Schuhnummer als der Kampf an der ukrainischen Front. Auch dafür wären die Söldner, und mögen es noch Tausende gewesen sein, weder in Vorbereitung, noch in Mannstärke gut genug aufgestellt gewesen.
Was Prigoschin mit seinem „Marsch auf Moskau“ zu bezwecken versuchte war kein Putsch, sondern Druck auszuüben innerhalb von Kämpfen und Widersprüchen in der imperialistischen russischen „Elite“. Ende Juni sollten die Wagner-Truppen vollständig in die russische Armee eingegliedert werden, so die Pläne des Kremls. Das konnte Prigoschin, der mit seiner Söldnertruppe Milliarden verdiente, nicht zulassen, ohne den politischen Preis dafür möglichst hoch zu treiben. Das war es, was er mit seinem „Putsch“ bezweckte. Gleichzeitig vergrößerte er damit sein politisches Gewicht, denn der Sympathien vieler unzufriedener Teile der russischen Bevölkerung konnte er sich mit seinem Muskelspiel sicher sein. Deshalb fiel auch die erste Reaktion Putins, seinerseits oberster Chef des russischen Imperialismus, relativ zurückhaltend aus. Prigoschin und seine Kommandeure konnten sich offensichtlich weiterhin relativ frei in Russland bewegen. Nicht wegen ihrer militärischen Stärke, sondern weil sie politisches Gewicht besaßen.
Wagner baut Einfluss aus.
Bezüglich der Integration der Wagner-Söldner in die russische Armee einigte man sich vorerst auf eine Art von Kompromiss. Tausende Wagner-Leute die in der Ukraine blieben, sind heute Teil der russischen Armee. Doch diejenigen die mit Prigoschin am „Marsch“ waren und zu großen Teilen danach in Weißrussland stationiert wurden, waren weiter Söldner im Dienste Wagners. Dass die gesamte Führung von Wagner auch nach dem „Putsch“ im St. Petersburger Jetset daheim war, zeigt recht deutlich, dass es sich um einen Kompromiss handelte, der es der Wagner-Führung erlaubte, nach wie vor stark auf russischem Territorium zu agieren.
Zwei Tage von dem Flugzeugabsturz meldete sich Prigoschin – wie gewohnt per martialischem Video – aus Afrika, vermutlich aus Mali oder Niger. Beides Länder in denen der russische Imperialismus militärisch indirekte und politische Manöver gegen seine EU- und US-amerikanischen Konkurrenten durchführt. Prigoschin vermeldete, dass Wagner in Afrika zu „alter Stärke“ kommen würde, und damit würde auch Russland wieder an „Stärke“ gewinnen. Diese Entwicklung konnte für den führenden Teil der herrschenden Klasse Russlands, repräsentiert durch Putin, gefährlich werden. Denn Wagner war inzwischen nicht einfach eine militärisch wichtige Flankierung, sondern ein entsprechender Konkurrent im Kampf der verschiedenen Fraktionen innerhalb der monopolistischen Kapitalistenklasse Russlands, nicht zuletzt über Wagners wachsenden wirtschaftlichen Einfluss. Sich über Afrika neu, und womöglich noch stärker zu reorganisieren, hätte Wagner weitaus mehr Gewicht verliehen als es bisher hatte und damit natürlich auch Prigoschin größeren Einfluss.
Es war nicht die „Rache Putins“ (denn die bürgerlichen Medien werden nicht müde uns darüber zu belehren, dass Putin „Verrat mit dem Tod bestraft“), sondern die Entwicklung Wagners zu einem starken politischen Faktor im inneren Kampf um die Macht. Daher bot es sich natürlich auch an, eine Gelegenheit beim Schopf zu packen, bei der man gleich die ganze Wagner-Führung eliminieren konnte, wie sie dadurch gegeben war, dass Prigoschin und sämtliche Führungsverantwortlichen von Wagner im Flugzeug saßen (militärisch gesehen auf jeden Fall ein dermaßen fundamentaler Fehler, dass man nur verwundert sein kann).
Ein Flugzeugabsturz und die imperialistische Beute.
Der Absturz der Wagner-Maschine ist ein Symbol für die harten Kämpfe innerhalb der herrschenden Klasse Russlands, dafür, dass sie tiefe Widersprüche darüber austrägt, welche Strategie und Taktik sie für den russischen Imperialismus wählen soll. Putin mag im ersten Moment gestärkt sein, nachdem sich ein wichtiger Gegner auf so bequeme Art und Weise aus der Arena verabschiedet hat.
Längerfristig zeigt die tiefe Widersprüchlichkeit und mangelnde Einheit der russischen Herrschenden aber eine grundsätzliche und strategische Schwäche des russischen Imperialismus auf. Eine Schwäche, die früher oder später auch durch die vom russischen Imperialismus ausgebeuteten und unterdrückten Massen genutzt werden wird können. Putin konnte diese Kämpfe und Widersprüchlichkeiten in der herrschenden Klasse Russlands zwar einigermaßen beruhigen und sie damit stabilisieren. Offensichtlich verstärken sich diese Widersprüche nun aber auch wieder je expansiver und aggressiver der russische Imperialismus wird, also auch je mehr Beute es zu verteilen gibt.
Bildquelle: Photo of Evgenia Prigozhin, by Корриспондент.net, CC BY-SA 4.0
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