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Katharina M.

Editorial: Neues Arbeitslosengeld: Armut und Schikane!

Aktualisiert: 9. Juli 2022

Dieser Artikel ist der Leitartikel der ersten Print-Ausgabe der Roten Fahne.


Obwohl vor Kurzem noch drohende Reden von ÖVP und Wirtschaftskammer geschwungen wurden, dass mit dem degressiven Arbeitslosengeldmodell nach einer Erhöhung die Rate auf 40 Prozent absinken sollte, geben sich die Herrschenden nun etwas „gemäßigter“. Trotzdem wird an der Forderung des degressiven Arbeitslosengeldes festgehalten und auch für die SPÖ ist das Modell nun „vorstellbar“. Während in einer Zeit der hohen Arbeitslosigkeit Kürzungen, Ausbau der Zumutbarkeit und Sanktionen gefordert werden, wird für Arbeitslose eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 80% immer notwendiger. Denn nur dann wäre das Arbeitslosengeld über der Armutsgrenze.


Die Regierung und allen voran der Arbeitsminister Kocher fordern vehement die Einführung des degressiven Arbeitslosengeldes, das eine kurzfristige „Erhöhung“ der Nettoersatzrate vorsieht, um sie dann steil nach unten fallen zu lassen. Aktuell liegt das durchschnittliche Arbeitslosengeld bei 980 Euro pro Monat, obwohl die Schwelle zur Armutsgefährdung bei 1.286 Euro im Monat liegt. (1) Kocher fordert auch die Streichung einer Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslose und möchte den Druck zur Annahme schlechter Jobs erhöhen (Vermittlung in ganz Österreich, Verlängerung der Wegzeit,…). Dass auch die SPÖ nicht prinzipiell gegen das degressive Modell ist, sprach ÖGB-Präsident Katzian in einem Interview mit der ZIB aus: „Wenn ein degressives Modell hoch oben ansetzt, kann man darüber diskutieren.“ Damit zeigt Katzian, dass die Forderung der SPÖ nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70% das degressive Modell nicht ausschließt, sondern legt die Vermutung nahe, dass genau das die Verhandlungsgrundlage der Sozialpartner sein wird. Dass sich die SPÖ als „Vertreterin der Arbeitslosen“ aufspielt ist ein Schmäh, stellte sie doch mit Abstand die meisten Sozialminister der zweiten Republik (in den letzten 75 Jahren regierte die SPÖ 61) und hatte damit mehr als genug Möglichkeiten das Arbeitslosengeld anzuheben.


Es war auch die SPÖ die überhaupt das AMS als Dienstleistungsunternehmen ausgliederte. Mit den 1980er Jahren und einer massiv ansteigenden Arbeitslosigkeit wurde ein restriktiver Kurs gegenüber Arbeitslosen vollständig durchgesetzt. Das Beschäftigungssicherungsgesetz aus 1993 verschärfte die Bedingungen des Arbeitslosengeldbezuges: Arbeitslose müssen in festgesetzten Abständen beim Arbeitsamt erscheinen, sich mindestens einmal pro Woche bewerben und dies auch nachweisen können. Wenn sie dem nicht nachkommen, dann wird der Arbeitslosengeldanspruch für vier, sechs oder acht Wochen gestrichen. 1993 und 1995 wurde die Nettoersatzrate herabgesetzt (insgesamt von 57,9 auf 57%). Im Sparpaket 1996 wurde die Zumutbarkeit der Beschäftigung erweitert und die zeitliche Dauer der Sanktionen verlängert. All diese Entwicklungen vollzogen sich unter einer SPÖ-Regierung und wurden ab 2000 unter Schwarz-Blau fortgesetzt. Ebenso wurde in dieser Zeit durch die Herrschenden auch jene Behauptungen stark verbreitet, dass Arbeitslosigkeit eine Folge mangelnder Arbeitsbereitschaft ist und Arbeitslose als „Sozialschmarotzer“ dargestellt. Das sollte verhindern, dass sich in einer Zeit der hohen Arbeitslosigkeit mit den Forderungen der Arbeitslosen solidarisiert wird und die Sanktionen durchgesetzt werden können. Eine Verfälschung der Tatsachen ist weiter, dass Arbeitslosigkeit ein „Matchingproblem“ zwischen Arbeitslosen und Unternehmen wäre, also der sogenannte „Fachkräftemangel“ und die „Qualifikation“.


Heute, nachdem die derzeitige Verschärfung der Krise einen Höchststand an Arbeitslosigkeit gebracht hat, wird offensichtlich, dass sich Arbeitslosigkeit im Kapitalismus nicht einfach „selbst regulieren“, oder „dem Markt anpassen“ wird. Arbeitslosigkeit ist ein notwendiger Bestandteil des Kapitalismus und steigt mit der Verschärfung seiner Krise immer weiter an. Das wird auch dadurch verdeutlicht, dass es in der derzeitigen Krise vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit ist, die enorm gestiegen ist und sich auf hohem Niveau verfestigt hat. Ein gewisser Teil der Arbeitslosen muss „fit gehalten“ werden für die Erfordernisse des Arbeitsmarktes. Jene die am Arbeitsmarkt nicht mehr „zu gebrauchen“ sind, das sind die Langzeitarbeitslosen, sollen Abzüge und gekürztes Arbeitslosengeld bekommen. Das Resultat diese Modell wird die zunehmende Verarmung der Langzeitarbeitslosen sein. Das bestätigt sich auch am Beispiel der Hartz IV Einführung in Deutschland. Im Jahr 2005 waren in Österreich prozentual mehr arbeitslose Menschen von Armut betroffen als in Deutschland. Mit der Einführung von Hartz IV änderte sich dieses Verhältnis drastisch. Nun sind in Deutschland rund 70 Prozent der Arbeitslosen von Armut betroffen, während es in Österreich zwischen 40 und 50 Prozent sind.


Im oben genannten ZiB-Interview mit ÖGB-Präsidenten Wolfgang Katzian, kritisierte dieser die Politik der ÖVP: „Man unterstellt ja allen arbeitslosen Menschen, dass sie faul sind, dass sie nicht arbeiten wollen“. Dass Katzian nicht nur in Worten, sondern auch in Taten die Arbeitslosen verteidigen wird ist unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass die SPÖ selbst die Theorien der „faulen“ Arbeitslosen verbreitet hat. Die Grünen, die noch im Regierungsprogramm eine „Halbierung der Armut“ gefordert haben, meinen: „Wir wollen schon länger – und ich denke die ÖVP auch – eine sogenannte degressive Variante, wo man am Anfang mehr bekommt und später weniger.“ (Kogler(2)) Und FPÖ Sozialsprecherin Berlakowitsch, die nun das degressive Modell als „neoliberale Einfachlösung“ (3) ablehnt, möchte offenbar unter den Tisch kehren, dass das degressive Modell schon Vorschlag der letzten Schwarz-Blauen Regierung war.


Mit dem Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf“ wird die Erhöhung der Nettoersatzrate auf 70% gefordert. Diese Forderung scheint zwar im ersten Moment nicht schlecht, angesichts der Haltung der SPÖ kann sie jedoch genauso dazu verwendet werden, die Einführung eines degressiven Modells zu begünstigen. Hier zu versuchen, im Fahrwasser der SPÖ mitzuschwimmen, wird es den Herrschenden einfacher machen, eine insgesamte Verschlechterung durchzusetzen. Denn wenn das degressive Modell durchgesetzt ist, wird die stufenweise Absenkung unter 55% das nächste Ziel der Herrschenden sein (siehe Hartz IV). Dem etwas entgegenstellen kann nur die Forderung nach einer dauerhaften Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 80 Prozent. Aktivitäten dafür würden die Kräfte der Arbeitslosen, Arbeiter und Beschäftigten insgesamt stärken.


(1) kontrast.at

(2) meinbezirk.at

(3) derstandard.at


Quellen:


- Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: Wirtschafts- und Sozialpolitische Zeitschrift, Nr. 2/20

- Kurswechsel 4/2009, Die Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik in Österreich.

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