Weihnachten - ein Fest für alle? Der Schriftsteller Jura Soyfer, der dieses Monat seinen 110. Geburtstag feiern würde, beantwortete diese Frage mit nein. Auch Weihnachten spiegelt die Lage der Bevölkerung, die Schwierigkeiten und Umstände in der Gesellschaft wider.
„Dieses Monat jährte sich der Geburtstag von Jura Soyfer zum 110. Mal.“
Für viele Teile der Bevölkerung in Österreich gibt es heuer nicht sehr viel zu feiern: die enormen Heizkosten, die steigenden Preise, aber auch die undemokratischen Entwicklungen lassen das „Fest der Freude“ in einem sehr schwachen Licht erscheinen. In zahlreichen Betrieben finden wieder Kündigungswellen statt, wie beispielsweise beim Faserhersteller Lenzing aus Oberösterreich, oder erneut bei Swarovski Tirol. Viele Familien stehen vor Ungewissheit und drohendem Einkommensverlust. Aber auch viele Kleinunternehmer stehen vor dem Ruin, weil sie sich die hohen Kosten nicht leisten können und in der steigenden Konkurrenz die „Schwächeren“ sind.
Jura Soyfer, vor 110 Jahren geboren und ein außerordentlicher Schriftsteller und Antifaschist, verfasste ein kurzes Theaterstück mit dem Titel „Christbaum der Menschheit. Eine proletarische Weihnachtsfeier“, in dem er die unterschiedlichen Interessen in der Gesellschaft an einem Weihnachtsabend zum Ausdruck bringt. Soyfer wusste um die schwierigen Umstände, unter denen ein Großteil der Bevölkerung lebte und organisierte sich deshalb in der Arbeiterbewegung und der KPÖ. Unter anderem war er Verfasser des „Dachaulieds“, eines der bekanntesten antifaschistischen KZ-Lieder. Er selbst wurde 1939 im Alter von 27 Jahren im KZ Buchenwald von den Nazis ermordet. Sein literarischer Nachlass ist bis heute ein Mahnmal und ein wichtiges Erbe zugleich. Heute am 24. Dezember wollen wir ein paar Auszüge aus dem Weihnachtsstück Soyfers für unsere Leserinnen und Leser veröffentlichen.
Das Bild des Theaterstücks umfasst einen Weihnachtsbaum, der geteilt die Stube einer Arbeiterfamilie und auf der anderen Seite einer Großgrundbesitzerfamilie darstellt. Diese zwei unterschiedlichen Weihnachtsfeiern die nebeneinander spielen und doch ineinander greifen, zeigen die Widersprüchlichkeiten solcher Feste, als auch die unterschiedlichen „Weihnachtswünsche“ in der Gesellschaft auf.
FRAU DES LANDARBEITERS: Der Herrgott wird schon eine gute, reiche Ernte schicken, damit wir nicht zu hungern brauchen.
FRAU DES GROSSGRUNDBESITZERS (zu ihrem Mann): Sag, und du hast dir heuer gar nichts gewünscht zu Weihnachten?
GROSSGRUNDBESITZER: Eines wünsch‘ ich mir von Herzen: dass es nächstes Jahr eine schlechte, eine miserable Ernte gibt.
FRAU DES GROSSGRUNDBESITZERS. Warum denn?
GROSSGRUNDBESITZER: Ja, liebe Frau, weil die Preise für Brot dann steigen! Dann kann ich dir auch das Auto kaufen! Die Preise, Frau, die Preise!
LANDARBEITER: Herrgott! An diesem Tag, der Dir gehört, flehe ich zu Dir…
GROSSGRUNDBESITZER: Herrgott! An diesem Tage bitte ich Dich…
LANDARBEITER: … schick uns eine gute Ernte, damit wir Arbeit kriegen und nicht hungern müssen…
GROSSGRUNDBESITZER: Schick uns eine schlechte Ernte, mache die Saat verdorren, damit der Profit blühe!
LANDARBEITER: Eine gute Ernte, Herr!
GROSSGRUNDBESITZER: Eine schlechte Ernte, Herr!
LANDARBEITER: Herrgott, den ich preise…
GROSSGRUNDBESITZER: Herrgott, die Preise!
STIMME DES PREDIGERS: Es sprechen dieselbe Bitte zum Herrn alle Menschen einmal im Jahr.
SPRECHCHOR: Ist das wahr?
STIMME DES PREDIGERS: Dasselbe erflehen die Menschen am Tage, der Gott gebar!
SPRECHCHOR: Ist das wahr?
STIMME DES PREDIGERS: Arm und reich sind eins im Gebet. Wie wunderbar!
SPRECHCHOR: Ist das wahr? Ist das wahr? Wir fragen euch!
SPRECHER DES SPRECHCHORS:
Ihr sagt, dass die Menschheit einmal im Jahr
Sich um denselben Christbaum schar‘.
Das stimmt! Doch hatte zu allen Zeiten
Der große Christbaum der Menschheit zwei Seiten.
Die eine behangen mit Flitter und Gold.
Mit Backwerk und Englein wunderhold.
Dort ist man glücklich allemal.
Die andre Seite aber ist kahl.
Dort feiern wir -
CHOR DER MÄDEL: Dort feiern wir, die wir hungrig und bloß…
CHOR DER BURSCHEN: Dort feiern wir, denn wir sind arbeitslos!
CHOR DES PREDIGERS: So wollt ihr das Lied vom Hass ewig leiern?
CHOR DER REAKTIONÄRE: Und niemals den Tag der Erlösung feiern?
SPRECHER: Ihr großen Herren, ihr möget euch trösten,
Wir feiern, wenn wir uns selber erlösten!
Für uns wird der erste Christmorgen tagen,
SPRECHCHOR: Wenn wir euch einst zum Teufel jagen!
SPRECHER: Der heutige Tag ist für uns
CHOR DER MÄDEL: Tag der Sehnsucht,
CHOR DER BURSCHEN: Tag des Gelobens,
GANZER SPRECHCHOR: Tag des Kampfes.
SPRECHER: Und unsere Weihnacht wird die Nacht,
SPRECHCHOR: Die uns Verdammten Erlösung gebracht.
SPRECHER: Sozialistische Weihnacht, die Nacht,
Da die Verdammten der Erde erwacht!
Bildquelle: Popular Christmas Tree Decorations, by Michael Pardo, CC BY-SA 4.0
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