Vom Arbeiterstammtisch Linz
Im Zuge des Warnstreiks bei der ÖBB führten Unterstützer des Arbeiterstammtisches in Linz Gespräche mit Eisenbahner. Dabei waren junge, genauso wie bereits pensionierte Eisenbahner. Einer unter ihnen war selbst mehrere Jahrzehnte gewerkschaftlich aktiv im Betrieb. Es freut uns, im Folgenden Einblicke zur Lage und Entwicklung der Kollegen bei der ÖBB veröffentlichen zu können.
Im Gespräch mit Eisenbahnern…
„Ein aktiver Streik wäre uns lieber gewesen“, so die Stimmung unter den Kollegen, denn jetzt heißt es abwarten. Es war ein Warnstreik, die Verhandlungen wurden bis jetzt noch nicht wieder aufgenommen. „Bei uns im Betrieb ist original nichts passiert. Es gab keine Versammlungen, keine Diskussionen, nicht einmal Informationen was der Plan für das weitere Vorgehen ist.“
Viele der Kollegen „mussten“ auch zu Hause bleiben. Jene, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind, werden nicht aus der Streikkasse bezahlt. „Es wurde natürlich auch nicht ermöglicht zu arbeiten. Sie mussten sich Urlaub oder Zeitausgleich nehmen.“ Ähnlich verhielt es sich mit Leiharbeitern. „Da war die Lage ein wenig unklar und je nach Teamleiter wurde das unterschiedlich gehandhabt. Teilweise kamen sie in den Betrieb und wurden dann nach Hause geschickt, teilweise kamen sie gar nicht...“.
Einer der älteren Kollegen mischt sich ein: „Leiharbeit ist ohnehin auch so ein Thema. Damals in den 80ern hat die ÖBB begonnen Arbeiter an die Schiffswerft zu verleihen. Ich war immer der Meinung, dass es ein Blödsinn ist, da muss halt die Bahn schauen, dass genug Arbeit da ist. Später wurden dann auch bei der ÖBB Leiharbeiter beschäftigt. Zu Beginn um gewisse Spitzen abzudecken, dann ist es Normalität geworden. Heute ist das eine Dauerlösung. Für die Arbeiter natürlich ein Witz. Heute gibt es im Werk Kollegen die monatelang, oftmals jahrelang als Leiharbeiter beschäftigt sind!“
Auch die Reinigungskräfte, die durch einen externen privaten Betrieb beschäftigt sind, arbeiteten am Montag. „Das war nicht immer so. Irgendwann in den 2000ern wurde die Reinigung privatisiert und ausgegliedert. Davor waren auch die Reinigungskräfte bei der Bahn, was ja auch so sein muss. Denn die Reinigung ist genauso Teil des Arbeitsprozesses, ohne der Reinigung könnten der Betrieb nicht laufen. Durch die Ausgliederung haben sich Arbeitsbedingungen und Lohn natürlich verschlechtert. Heute machen das hauptsächliche ausländische Arbeitskräfte und die Lohndrückerei hält an.“ Das betrifft auch den IT Bereich, dieser war ebenfalls nicht Teil des Streiks, weil er in eine andere Branche fällt, so die Kollegen. „Da hat sich vieles verschlechtert, seit die ÖBB 2004 unter schwarz-blau zur ÖBB Holding AG wurde. Seither gibt es Konkurrenz unter den Abteilungen, es gibt Streitereien. Das führt dazu, dass Aufträge oft geballt kommen. Von einer zweckmäßigen Arbeitsteilung kann man da oftmals nicht reden.“
Wie es jetzt weiter gehen werde, fällt den meisten schwer einzuschätzen. Einig sind sich aber alle, dass es dringend notwendig ist zu kämpfen. „Es ist ja auch nicht nur der Lohn. Eigentlich geht es beim Kollektivvertrag auch um Arbeitsbedingungen. Es macht einen gewaltigen Unterschied, so wie damals und noch manche von den älteren Kollegen, ob man pragmatisiert ist, oder nicht. Die neuen Verträge bedeuten nicht nur weniger Lohn, sondern auch weniger Kündigungsschutz, keine Frühpensionen mehr und vor allem gibt es heute einen viel höheren Arbeitsdruck und Arbeitsintensität.“
Ein höherer Druck und eine Entkollektivierung der Arbeit setzte insbesondere durch die Einführung des „BDE“ ein. „Das BDE ist das System mit dem wir heute einstempeln. Das sind Tablets wo wir uns auf einzelne Aufträge einstempeln. Beispielsweise ein Teil das bei der Lok repariert wird, ein Schloss das gewechselt wird, ein Fenster das repariert wird, ein Kabel das gewechselt wird… Dafür gibt es dann vorgebende Zeiten wie lange das dauern darf. Hat man beispielsweise eine halbe Stunde Zeit für einen Auftrag und braucht länger, wird man ins Büro bestellt und muss sich rechtfertigten. Dann muss man sich halt Ausreden einfallen lassen, wie ‚Schraube kaputt, Material nicht gefunden, irgendwas war verklebt...‘. Das mag sich jetzt nicht so schlimm anhören, aber das hat vieles verändert. Davor zum Beispiel war es ganz normal, dass Teamübergreifend gearbeitet bzw. ausgeholfen wurde. Da war zum Beispiel der Tischler neben dir und brauchte Hilfe. Eine weitere Hand zum Halten. Das war kein Problem, da kurz einzuspringen. Fragst du heute jemanden, bekommt man meist die Antwort ‚Keine Zeit‘. Das hat das Klima natürlich verändert.“ Ein andere Arbeiter ergänzt: „Das ist die totale Überwachung“. Es hat auch zu einer Intensivierung der Arbeit geführt. „An Tagen mit lauter ‚Kleinscheiß‘ hat man oft nicht mal Zeit für Pausen. Und unterm Strich kommt heraus, dass der Betrieb eine jährliche Leistungssteigerung von ca. vier Prozent hat. Kollegen haben wir aber nicht mehr, im Gegenteil es gibt mehr Arbeit für weniger Arbeiter.“ In der Werkstatt wurden die Arbeiter, so wurde berichtet, von etwa 1.700 auf 400 reduziert. Als dieses neue System eingeführt wurde, haben sich die Arbeiter teilweise kollektiv zur Wehr gesetzt. Sie boykottierten die Zeiterfassung zur Einstellung des Systems. „Da stand einer mit der Stoppuhr, dann haben sich die Kollegen extra Zeit gelassen. Es waren unbrauchbare Messungen, darum war zu Beginn der Druck nicht ganz so hoch.“ Ein älterer, bereits pensionierter Kollege, der lange gewerkschaftlich aktiv war, kritisierte die Gewerkschaft: „Dem dürfte die Gewerkschaft nie zustimmen. Das wäre was, was man nicht durchgehen lassen darf.“
Da hat er recht. Er holt ein wenig aus und erzählt aus seiner Erfahrung. Zur Gewerkschaftsführung und vielen Betriebsräten meint er: „Das sind lauter Schlaftabletten, die gar nicht mehr für die Arbeiter da sind.“ Er hatte damals an einer Betriebszeitung mitgearbeitet und war dafür viel im Betrieb unterwegs. „Ich hatte immer einen Zettel und Stift dabei, damit ich mir Stichwörter machen kann. Denn das Wichtigste war, dass wir mit den Kollegen reden. Das machten damals schon nur ganz wenige und heute gibt es gar keine Betriebszeitung mehr.“ Ein jüngerer Kollege meint dazu: „Da gibt es kein Interesse. Viele die sich aufstellen lassen für die Betriebsratswahl machen das um einen besseren Kündigungsschutz zu haben und aus Karrieregründen. In vielen Abteilungen gibt es auch keine Wahlmöglichkeit, da gehen dann kaum Kollegen wählen. Es gibt bei uns Betriebsräte die sogar offen sagen, dass es sie eigentlich nicht ‚zaht‘.“ Es gäbe auch kaum mehr Zeit für Betriebsratsarbeit. So standen dem älteren Kollegen noch 70 bis 80 Stunden zur Verfügung, heute sind es nicht einmal mehr 10. „Das ist aber nicht, weil das so sein muss. Dahingehend hat sich auch die Gesetzeslage nicht geändert. Das ist vielmehr eine Frage des Bewusstseins und ob die Gewerkschafter auch was tun wollen.“ Die Kritik geht weiter: „Ich habe schon mehrere junge motivierte Kollegen erlebt, die sich beim Betriebsrat engagiert haben, Ideen einbrachten. Sie waren allerdings nicht mehr als ein junger, frischer Aufputz. Die wurden schnell wieder abgedreht.“ Es sei auch ein Problem, dass die Arbeiter im Betrieb vieles erst gar nicht erfahren. „Bei uns gibt es Betriebsräte die nie etwas wissen, oder sagen wollen. Kommen sie von Versammlungen zurück und man fragt nach was besprochen wurde, meinen sie ‚nichts‘, oder ‚eh nichts wichtiges‘. Es ist schon sehr berechtigt, dass man sich fragt wofür man eigentlich Mitgliedsbeiträge zahlt. Man finanziert einen dermaßen unbrauchbaren Apparat. Vielen erscheint das aber, ist mein Eindruck, gar nicht als komisch, die sehen sich ohnehin nur mehr als Serviceorganisation.“
Was sie sich nun erwarten? „Nicht viel. Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder wir bekommen was wir wollen, oder die Gewerkschaft verkauft sich wieder. Wahrscheinlich geben sie nach und es kommt zu irgendeiner Einigung etwas über 200 Euro, was nichts ist.“ Auch die Verhandlungsbasis von sechs bis sieben Prozent stoßt den Kollegen übel auf. „Was soll das, hier einen Durchschnitt zu nehmen? Ich zahle jetzt 10% mehr.“ Kampfmaßnahmen sind jedenfalls gerechtfertigt und sollen noch viel weiter gehen, das sehen die allermeisten so. Zudem kommt hinzu, dass es nicht nur um den Lohn geht. Die Verträge und Bedingungen wurden in den vergangenen Jahren zunehmend schlechter. „Ein Problem ist natürlich, dass viele der neuen und jüngeren Kollegen gar keinen Unterschied mehr kennen. Die beginnen mit solchen Sachen wie dem BDE zu arbeiten und kennen das häufig schon aus anderen Betrieben. Genau das zeigt aber, dass wir uns nicht damit abfinden dürfen, weil es überall so ist… nein, genau das zeigt, dass wir Arbeiter uns besser organisieren müssen!“
Bildquelle:
Bahnarbeiter, PIRO4D, Pixabay
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