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Der Fall Gerstorfers: Zerfall der SPÖ, oder „Revanche“ der Gewerkschaftsvertreter?

Maria L.

Aktualisiert: 9. Feb. 2022


Ausgerechnet in Oberösterreich, jenem Bundesland mit dem größten Anteil an Industriearbeitern, sieht sich die SPÖ alle Jahre wieder mit Wahlverlusten konfrontiert. Wahlniederlagen, interne Konflikte, häufiger Personalwechsel, Reformprozesse… ist die Sozialdemokratie im Zersetzungsprozess?


Die SPÖ Oberösterreich zeichnet sich nicht gerade durch eine Erfolgsgeschichte aus: Wahlniederlage 2009 mit -13,4%. Josef Ackerl leitet Reformprozess „morgen.rot“ ein. Wahlniederlage 2015: Reinhold Entholzer leitet Reformprozess „Neustart“ ein. Kurz darauf übernimmt Johan Kalliauer die Landespartei, unter ihm gibt es eine Strukturreform, aufgrund gekürzter Parteienförderungen. 2016 übernimmt Birgit Gerstorfer die Landespartei und muss sich 2021 erneut eine Wahlniederlage eingestehen.


Die SPÖ Oberösterreich sei „Mut- und profillos“, so das Ergebnis einer im September in Auftrag gegeben Studie der SPÖ. Wesentlich dabei sei das Verhältnis zur Gewerkschaft, dass Gewerkschafter beispielsweise selbstverständlich Listenplätze beanspruchen. Klaus Luger (Linzer Bürgermister) meinte Ende Jänner in einem Interview dazu noch, dass die SPÖ nicht mehr „in der Mitte der Gesellschaft“ verankert sei, die Gewerkschaft aber schon. Kommt hier ein grundlegender Widerspruch zwischen SPÖ und Gewerkschaft zum Ausdruck? Wohl eher nicht. Vielmehr kommt hier ein interner Fraktionskampf zum Ausdruck. Nachdem mit der Ablöse Kalliauers durch Gerstorfer der Einfluss der Gewerkschaften ein wenig zurückweichen musste, folgt nun die Revanche. Nicht, dass hier grundlegende Haltungen gegeneinander sprechen würden. Für die Arbeiterklasse bedeutet keine der Fraktionen eine Besserung oder Verschlechterung. Eigene Interessen stehen da viel mehr im Vordergrund. Eigene Interessen was die eigene soziale Basis, Posten und Einfluss betrifft. Gewerkschaften und SPÖ gehören natürlich über weite Strecken zusammen, doch was hier deutlich wird, ist dennoch der Widerspruch zwischen Gewerkschaft und Parteibürokratie. Die Partei, die heute schon viel mehr auf kleinbürgerliche Schichten als auf ArbeiterInnen orientiert, und der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie, die ihre Basis unter (vor allem industriellen) Arbeitern sucht. Birgit Gerstorfer als ehemalige AMS Chefin (in dieser Funktion bekannt für besonders repressive Maßnahmen) und noch dazu Stellvertreterin Rendi-Wagners steht eindeutig für die „Partei-Fraktion“, während nicht zufällig gerade durch den Voest Personalvertreter Dietmar Keck die schärfste Kritik an Gerstorfer zu hören war.


Aufhänger für den Rücktritt Gerstorfers war nun die Impfplakatkampagne mit dem weinenden Kind, die richtigerweise auch in der Bevölkerung für viel Unmut sorgte. Gerstorfer hatte schon seit dem schlechten Ergebnis bei der OÖ-Wahl 2021 und nicht zuletzt durch das genannte Analysepapier, das sich gegen den Einfluss der Gewerkschaften ausspricht, einen immer schwereren Stand.


Was ist zu erwarten? Nachdem sowohl SPÖ als auch Gewerkschaft in den vergangenen Jahren immer mehr das Vertrauen der Bevölkerung verlor, wird man nun versuchen, das Ruder herumzureißen, auch indem man wieder mehr auf die „Betriebe“ setzt. Ob die SPÖ und ihre Gewerkschaften dadurch wieder mehr Verankerung schaffen, ist fraglich. Zu tief sitzt in großen Teilen der ehemaligen SPÖ-Basis der Zorn auf die SPÖ- und Gewerkschafts-Vertreter welche die MAN-Beschäftigten vollkommen im Stich gelassen haben, die KV-Verhandlungen in allen Branchen in den Sand gesetzt haben, die, kurz gesagt, immer offensichtlicher den Großkonzernen näher stehen als den Beschäftigten. Auch die sozialdemokratische Linie in der Impffrage war vielen ein Dorn im Auge. Nicht umsonst nährt sich die neue Partei „MFG“ zu großen Teilen aus ehemaligen SPÖ-Stimmen und hat viele ehemalige SPÖ-Gemeinderäte in ihren Reihen. Gleichzeitig wollen führende Parteivertreter die SPÖ als beste „Krisenmanagerin“ positionieren und wollen sie daher noch breiter aufstellen. Der Linzer Bürgermeister Luger drückte das in einem kürzlich gegebenen Interview (1) sehr deutlich aus. Es gehe nicht darum Fragen wie Lohn, Arbeitslosigkeit etc. in den Vordergrund zu stellen, sondern um Themen wie Klimaschutz, Digitalisierung, wirtschaftlicher Erfolg, Arbeitsplatzentwicklung und Internationalität. Diese seien, so Luger im vergangenen Wahlkampf nicht erkennbar gewesen.


Mit Michael Lindner übernimmt außerdem ein Vertreter aus dem Mühlviertel die SPÖ-OÖ (er wird weiter dem „Doskozil-Lager“ zugerechnet). In den ersten Stellungnahmen zeigt er sich kritisch gegenüber der umstrittenen Impfkampagne und offen für die Vertreter aus der Gewerkschaft. Dies heißt aber noch lange keine gute Aussicht für die Beschäftigten. Denn wodurch sich SPÖ- und ihr nahestehende Gewerkschaftsfunktionäre im vergangenen Jahr ausgezeichnet haben, ist gerechtfertigten Protest und Widerstand der Beschäftigten abzuwürgen und Erpressungen gegenüber den Arbeitern, wie es bei MAN der Fall war, zu decken. Die Beschäftigten in Oberösterreich können mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Methoden jener Gewerkschaftsfraktion die hier um ihre Posten und Einfluss kämpft einerseits gefinkelter werden und sie versuchen werden, die Leute wieder besser einzubinden. Andererseits werden sie noch repressiver gegenüber unabhängiger Initiativen werden. Im allgemeinen ist dieser Fall Gerstorfer ein Ausdruck der tiefen Krise der Sozialdemokratie, welche sich in einem Prozess befindet in dem sie zunehmen den Einfluss auf ihre einstigen Kernschichten in der Arbeiterschaft verliert und kleinbürgerliche Schichten immer stärker ihre Politik prägen. Auch wenn nun eine Fraktion versucht diesen Trend äußerlich umzukehren und ein bisschen zu beschränken, wird es in diese Richtung weitergehen. Denn den Einfluss innerhalb der Arbeiterschaft, ob er nun geringer wird oder nicht, wird die SPÖ vor allem dazu nutzen, die Arbeiter an die Konzern- und Monopolinteressen auszuliefern.




(1) https://kurier.at/chronik/oberoesterreich/die-spoe-ist-nicht-mehr-in-der-mitte-der-gesellschaft-verankert/401887445



Quellen:

https://tvthek.orf.at/profile/Oberoesterreich-heute/70016/Oberoesterreich-heute/14122821

https://kurier.at/politik/inland/spoe-ooe-will-kantiger-werden-und-verhaeltnis-zu-gewerkschaft-ueberdenken/401869136

https://www.diepresse.com/6093226/spoe-oberoesterreich-impfkampagne-sorgt-fuer-unmut-in-eigenen-reihen

https://linzpartei.at/


Bildquelle: 22.09.2021 „Rotes Foyer“ by SPÖ Presse und Kommunikation, CC BY-SA 2.0

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