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Brasilianischer Bauernführer von Pistoleros ermordet

Aktualisiert: 31. Dez. 2022


Mitte Dezember wurde der Bauernführer Raimundo Oliveira ermordet. Alles spricht dafür, dass das Attentat durch den Großgrundbesitzer der Farm Santo Hilário veranlasst wurde, um dessen Land die regionale Bauernbewegung seit über einem Jahrzehnt gerechtfertigterweise kämpft. Das ist Teil des regelrechten Kriegs, den der brasilianische Staat und die Großgrundbesitzer gegen die Bauernbewegung führen.




Am 14. Dezember wurde Raimundo Nonato Oliveira in seinem Haus in der Gemeinde Araguatins in der Region Bico do Papagaio, Tocantins im Süden Brasiliens ermordet. Über die Details berichtet einer seiner Begleiter, der Zeuge des Mordes wurde. Ihm zufolge drangen gegen ein Uhr morgens drei vermummte Männer in die Wohnung ein und feuerten mehrere Schüsse auf Raimundo ab, der sofort starb. Er hinterlässt eine Frau, Kinder und Enkelkinder sowie sein Engagement für die Bauernbewegung in Araguatins.


Raimundo Nonato Oliveira, der auch „Cacheado“ genannt wurde, trat bereits in seiner Jugend wegen seiner konsequenten Haltung als ein wichtiger Anführer des Kampfes um Land der Bauern in der Region hervor. Ein besonders prägender Moment war, als er als Kind Zeuge der Ermordung seines Vaters durch Pistoleros wurde. Mutig zog er daraus die Lehre über die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Großgrundbesitz und so war er seit 2000 bereits öfters Ziel von Attentaten.


Insbesondere sein Kampf für die Enteignung der Farm Santo Hilário, die sich der Landbesitzer Lund Antônio Borges angeeignet hat, machten ihn zur Zielscheibe für die angeheuerten Paramilitärs. 2015 wurde das Land von Santo Hilário von 150 Bauernfamilien besetzt, die sich im Lager „Alto da Paz“ zusammenfanden. Raimundo war Leiter des Lagers, und wurde deshalb in einem Attentat angeschossen. Die Verfolgung zwang ihn damals sogar die Region zu verlassen. Im vollen Bewusstsein über die Gefahren kehrte er aber wieder in die Region zurück und nahm den Kampf um das Land von Santo Hilário wieder auf.


Es gibt heute ein neues Lager namens „Carlos Marighella“ auf der Farm. Am Tag vor der Ermordung fragten unbekannte Männer dort nach Raimundo, noch am selben Tag wurde das Lager von der Polizei und einem Gerichtsbeamten besucht. Das ist natürlich kein Zufall, und ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass dieses feige Attentat im Auftrag von Borges, von den paramilitärischen Pistoleros des Großgrundbesitzes durchgeführt wurden – offensichtlich in Gleichschaltung mit Polizei und Behörden des brasilianischen Staats.



Der Kampf um Land in Brasilien


70 Prozent der Eigentümer von Grund besitzen in Brasilien nur sechs Prozent des Bodens. Gleichzeitig sind die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Brasilien Bauern, und auf Land für ihren Lebensunterhalt angewiesen. Die Enteignung der kleinen Bauern durch den feudalen Großgrundbesitz (genannt Latifundium) wie im Fall von Santo Hilário ist in Brasilien an der Tagesordnung. Die Bauern versuchen ihrerseits sich ihr rechtmäßiges Land zurückzuholen, indem sie es besetzen. Aus diesem Grund halten sich die regionalen Großgrundbesitzer in der Regel private Pistoleros, die mit Waffengewalt gegen die Bauern vorgehen. Obwohl die Klasse des Latifundiums nur einen zahlenmäßig sehr kleinen Teil der Bevölkerung ausmacht, ist ihr politischer Einfluss in allen wichtigen Ämtern des Staatsapparats, der ihren Interessen dient, enorm.


In den letzten Jahrzehnten hat die brasilianische Bauernbewegung auf der anderen Hand große Entwicklungen durchgemacht. Gegen immer größere Landbesetzungen haben Staat und Latifundium einen wahren Krieg gegen die arme Landbevölkerung ausgerufen. So jährte sich am 22. Oktober die Ermordung des Bauernführers Cleomar Rodrigues zum achten Mal. Erst letztes Jahr wurde ein Großaufgebot der staatlichen „Sicherheitskräfte“ in der nördlichen Region Rondônia zusammengezogen. Mit Hubschraubern und Bomben machte man sich hier bereit, gegen eine Landbesetzung der „Liga der armen und landlosen Bauern“ (LCP), die größte Bauernorganisation Brasiliens, vorzugehen. Das konnte verhindert werden. Doch am 29. Oktober 2021 wurde der Bauernführer Gedeon José Duque durch diese „Sicherheitskräfte“ ermordet.



Santo Hilário zwischen Repression und Widerstand


Nachdem Lund Antônio Borges sich das Land von Santo Hilário angeeignet hatte, führte am 12. August 2004 die mobile Inspektionsgruppe des Ministeriums für Arbeit und Beschäftigung eine Routineinspektion auf der Farm durch. Sie befreiten bei dieser Inspektion 13 Personen, die unter Arbeitsbedingungen „analog zur Sklaverei“ arbeiteten. Das ist in Brasilien weit verbreitet, und diese verschärfte Ausbeutung entspricht Verhältnissen, die noch einer feudalen Wirtschaftsweise entsprechen. Wegen besonderer Grausamkeit wurde Borges im Juli 2005 in die „Dirty List“ des Ministeriums aufgenommen – offenbar ohne große Konsequenzen.


2007 fielen Schüsse bei einem Konflikt zwischen Bauern, bewaffneten Männern und der Militärpolizei auf der Farm, wobei der 25-jährige Bauer José Reis ums Leben kam. Die genauen Umstände wurden nie aufgedeckt. 2009 wurde das Land von Santo Hilário erneut besetzt. Drei bewaffnete Männer schossen damals auf eine Gruppe von Familien, wobei der Bauer Raimundo Nonato ermordet wurde. Damals wurde einer der drei Schützen von den Campern als Agent der Zivilpolizei von Araguatin identifiziert.


Hier kommen die Besetzungen von 2015, bei denen Raimundo das erste Mal angeschossen wurde, und die Besetzung heute zu der langen Liste von Repression und Widerstand in Santo Hilário hinzu. Dabei zeigt sich, dass die Bauernbewegung auch in dieser Region trotz des Kriegs, der gegen sie geführt wird ihren Widerstand nicht nur fortsetzt, sondern im Lauf der Jahre sogar ausgedehnt hat. Durch die feige Ermordung von Raimundo haben der Großgrundbesitz und der brasilianische Staat sicherlich nicht Stärke, sondern im Gegenteil ihre Komplizenschaft und ihr Unrecht unter Beweis gestellt. Das heldenhafte Leben von Raimundo wird nur Weiteren als Beispiel dienen, um sich dem Widerstand anzuschließen.



Bildquelle: A Nova Democracia


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